Otto Juliusburger an Ernst Haeckel, Steglitz, 1. März 1918
Ernst Haeckel
in Treue und Herzlichkeit
von Otto Juliusburger.
Steglitz, den 1.3.18. ||
Dein Abschiedswort – wie rührend klang es!
Du Wandrer auf des Lebens Gipfel!
Wie Abendröte leuchtend drang es
Vom Fuss des Baums zu seinem Wipfel!
Du ahnest Sonnenuntergang?
Des schönen Tages stilles Sterben?
Es weht durch Deinen Abgesang
Der Liebe und der Treue Werben.
Dein ernster Fleiss, Dein emsig Mühn,
Naturgeheimnis zu ergründen!
Für ihrer Wunder holdes Blühn, –
Wie konntest Du begeisternd zünden!
Man sagt, Du bist kein guter Christ,
Du griffest keck nach Gottes Throne, –
Du warst ein guter Christ, Du bist ein Christ,
Du trägst des Lebens Siegerkrone.
Du zwangst des Lebens Bitterkeit,
Dich schreckte nicht der Lärm der Toren,
Du schrittest kühn durch Zank und Streit,
Als Kämpfer und als Held geboren. ||
Was Gott-Natur Dir anvertraut,
Du sprachst es aus zu Deinem Volke,
Und was Dein helles Aug‘ geschaut,
Zerriss des Wahnes dunkle Wolke.
Und fandst Du nicht das Lösungswort,
Hast Du auch nicht die Sphinx erschlagen, –
So bleibt doch Deines Schaffens Ort
Geheiligt uns in allen Tagen.
Du betetest im Geiste an
Und hattest nur die Form zerbrochen;
Das Wort sie sollen lassen stahn!,
War wohl für Dich nicht mehr gesprochen.
Doch blicktest Du zur Ewigkeit,
Zum Gott des Wahren, Guten, Schönen,
Und liessest die Vergänglichkeit
In seinem Abglanz sich versöhnen.
Du suchtest Gott, Du fandest Gott,
Und kündest ihn in Deiner Sprache;
Er war Dir Trost in Deiner Not:
Ein Gott der Liebe, nicht der Rache. ||
Du sahest auch zum Kreuz empor!
Nur sahst Du’s nicht im Kirchendunkel;
Du fandst es unterm Sternenchor
Im weihevollen Nachtgefunkel.
Erlösung allem Menschenleid,
Den Brüdern liebendes Erbarmen,
Und Mitleid mit der Not der Zeit
Entquillt dem Herzen, Deinem warmen.
Du schauest Abendsonnenschein?
Ich weiss, der Morgen wird geboren;
Die Nacht ist kurz, der Tag bleibt Dein
Und Du bist ewig unverloren.