Wilhelm Breitenbach an Ernst Haeckel, Brackwede, 8. Juli 1909
NEUE WELTANSCHAUUNG
MONATSSCHRIFT FÜR KULTURFORTSCHRITT …
AUF NATURWISSENSCHAFTLICHER GRUNDLAGE
REDAKTION: DR. W. BREITENBACH, BRACKWEDE I. W.
GESCHÄFTSSTELLE: STUTTGART
BRACKWEDE, 8.7.09
Sehr geehrter Herr Professor!
Ihr freundlicher Brief von gestern hat mich sehr erregt. Es ist ja ganz unglaublich, was sich Plate gegen Sie erlaubt hat. Wie konnte dieser Mann es sich erlauben, Sie in einer solchen flegelhaften Weise zu behandeln! Das grenzt ja direkt an Größenwahn. Ich kann mir denken, wie sehr Sie diese traurigen Vorgänge angegriffen haben. Sie gründen in jahrelanger Arbeit ein neues, einzigartiges Museum, Sie tragen nicht nur einen großen || Teil der Kosten persönlich, Sie sammeln weiter Summen, Sie schenkten Bücher, Sammlungen etc. etc. Sie haben sich – was Jeder wußte – vorbehalten, auch Ihre Briefe, Manuskripte, Bilder etc. in dem Museum unterzubringen, und da kommt Ihr Nachfolger, den Sie doch erst vorgeschlagen haben, und weist Ihnen sozusagen die Tür. Der Mann muß nicht bei Sinnen sein, der solches sich unterstehen kann.
Daß das Ministerium und die Universität Plate Unrecht gegeben haben, ist ja selbstverständlich und freut mich für Sie; das einzige dauernde Mittel ist aber || nur der Weggang Plates von Jena. Freilich, wohin soll er? Wer wird ihn nach solchen Vorgängen haben wollen? Daß alle Sympathien auf Ihrer Seite sind, höre ich von den verschiedensten Seiten. Dr. Brohmer, der die Vorgänge ja genauer kennt, stimmt mir in der Beurteilung der Sache ganz zu.
Herr Radde ist im vorigen Jahre gestorben, gerade als Sie mir schrieben, Sie würden das Deublerbild für das Museum gern annehmen. Ich gebe Ihnen daher die Adresse seiner Witwe: Frau C. O. Radde in
Dockenhuden-Blankenese
a. d. Elbe
Auch Frau Radde ist eine eifrige Freidenkerin, die für die Sache auch || Opfer bringt. Gemalt ist das Bild von ihrem Schwiegersohn.
Und nun, verehrter Herr Professor, lassen Sie sich Ihr Leben durch diese letzten traurigen Vorgänge nicht verbittern. Sie wissen, daß alle rechtlich denkenden Leute auf Ihrer Seite stehen und Plate verurteilen.
Mit den herzlichsten Grüßen in unveränderter Gesinnung
Ihr treu ergebener
Dr. W. Breitenbach