Ernst Haeckel an Anna Sethe, Berlin, 27. Januar 1859
16. Feb.
Reisen!
Reisen soll ich, Liebchen, reisen,
Lüften soll ich mir die Brust.
Aus des Tagwerks engen Gleisen
Treibst Du mich zur Wanderlust.
Und doch hab ich tiefer eben
In die Heimath mich versenkt,
Fühle mich, Dir hingegeben,
Freier, reifer, als man denkt.
Nie erschöpf ich diese Wege,
Nie ergründ ich dieses Thal,
Und die altbetretnen Wege
Rühren neu mich jedesmal.
Öfters, wenn ich selbst mir sage,
Wie der Pfad doch einsam sei,
Streifen hier am lichten Tage
Theure Schatten mir vorbei.
Wann die Sonne fährt von hinnen,
Kennt mein Herz noch keine Ruh,
Eilt mit ihr von Bergeszinnen
Meiner süßen Änni zu;
Tauchen dann heran die Sterne,
Drängt es mächtig mich hinan, ||
Und in immer tiefrer Ferne
Zieh ich helle Götterbahn.
Alt und neue Jugendträume,
Zukunft und Vergangenheit
Uferlose Himmelsbäume
Sind mir stündlich hier bereit.
Darum, Schatzchen! muß ich reisen
Und Italien ist mein Ziel!
In der Heimath stillen Kreisen
Schäumt das Herz doch allzuviel!
Berlin am Abend des 27. Januar 1859. Geburtstag des Kronprinzen von Preußen. Vorabend der italienischen Reise.
E. H.
Felicissima notte!
A revederci!!