Giltsch, Adolf

Adolf Giltsch an Ernst Haeckel, Jena, 16. September 1891

Jena, d. 16. Sept. 1891.

Hochgeehrter Herr Professor!

Gestern Abend empfing ich Ihre Rücksendung und haben wir uns sofort darüber gemacht die Mängel der Originale möglichst zu verbessern. Ich habe wohl einen Hauptfehler versehen, daß ich am Schluß meiner Zeichnerei Ihrer letzten Information zu streng nachgekommen bin, nämlich, im Interesse der Reproduktion durch Photogravure alle Gegensätze zu verstärken. Also habe ich alle Lichter mit Deckweiß erhöht und alle tiefen Schatten & Schattenstriche mit Tusche übergangen. Dies hat die vorher bestandene Weichheit der Zeichnung zerstört, wäre aber natürlich bei der Photogravur-Repr. von selbst verschwunden. Dadurch waren bei Fig 7 (Taf. I) die Augen mit Lidern, Mund, Haare, Kurzum Alles herausgetrieben, wenngleich ich die von || Ihnen recht drastisch gerügten Charaktere, jedenfalls immer obiges Zurückgehen der Gegensätze im Gefühle habend, nicht bemerkt habe. Da ich mich aber Ihnen gegenüber nichta für berechtigt halten darf, daß nun der Kopf genügend sei, so lege ich Ihnen das Original bei und möchte nur noch einiges dazu bemerken. Da der Kopf nicht nach Vorn steht, sondern nur eine Drehung nach Vorn ausführt, so muß der Backen links (Luftseite) schwächer aussehen, weil er gedehnt ist, dagegen zeigt sich der andere Backen verdickt. Ich habe mir von verschiedenen Personen die Stellung vormachen lassen. Weiter habe ich doch den Kopf gerade (senkrecht)b stellen müssen, schon des Platzes halber, was auch Einfluß hat. Der Mangel des dunkeln Hintergrundes, welcher das Originalgesicht trotz der viel volleren Abtönung, namentlich der Stirn, dennoch hell erscheinen läßt, ist durch die seitlich herabfallenden Haare nur mangelhaft beseitigt. Wenn ich alle vorhandenen Schatten inc ihrer Stärke eintragen wollte, so würde der Kopf schon || auf der Zeichnung, vielmehr aber noch auf der Photogr. zum Mohrengesicht. Genügt Ihnen meine Zeichnung noch nicht, so würde ich Ihnen rathen, den Kopf in Leipzig bei einem Portraitzeichner, welcher für Reproduktionsarbeiten geübt ist, anfertigen zu lassen, er kann ja an Stelle des herausgeschnitten jetzigen Kopfes eingeklebt werden.

Sie werden sich vielleicht wundern, daß ich diese Sache so scheinbar gleichgültig behandle, Sie wissen aber, daß ich wenig Gelegenheit hatte, Portraits zu zeichnen. Ihr Portrait war das Letzte, seitdem sind wohl 15 Jahren verflossen. Ich zweifle nicht daran, daß, wenn ich vielleicht 10 Portraits gezeichnet hätte, ich viel leichter über diese Schwierigkeiten hinwegkäme, ich habe ja schon Vieles lernen und auch in manche Schwierigkeit hineindenken müssen, aber sozusagen über Nacht kann ich nicht zum raffinirten Portraitmalerd werden, und ich glaube wohl, daß an so einem glatten einfachen, edlen Gesicht noch manch anderer || Berufener stolpern würde, wohingegen bei einem alten, bärtigen, faltigen Gesichte die Ähnlichkeit schnell zu erreichen ist. Ich bitte Sie mir diesen Schmerzensgesang zu verzeihen, ich sollte aber meinen, daß man mit den Fähigkeiten eines, wie ich hoffe, in andern Sachen erprobten Zeichners, nicht in solch strenger, herber Weise richten sollte. Ueber die andern Figuren brauche ich mich wohl nicht auszulassen, sie sind ebenfalls nach Möglichkeit verbessert.

Mit dem Druck werde ich wohl bis zum ersten Oktober fertig werden.

Bei dieser Hetzerei, denn diese Tafeln sind nicht das Einzige was mir Sorge macht, habe ich leider auch nicht viel vom schönen Wetter genossen, nur die Abende von ½8 oder 8 Uhr an und die Sonntag Nachmittage. Vor 3 Wochen war ich auf dem Forste furchtbar verregnete. Einer meiner Lithographen geht zu Werner & Winter in Frankfurt / a. M. weil er dort 38 Mark die Woche bekommt. Da möchte man freilich lieberf die Selbständigkeitg aufgeben, man ist nun aber an die Scholle gebunden und ich bin von Natur kein Wandervogel, also such’ ich mich auch so zufrieden zu geben.

In der Hoffnung, daß es Ihnen immer besser geht

Ihr Ergebener

Ad. Giltsch.

a eingef.: nicht; b eingef.: (senkrecht); c korr. aus: ein; d korr. aus: Portraitmahler; e korr. aus: verrechnet; f korr. aus: jede; g korr. aus: Selbstständigkeit

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
16.09.1891
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 447
ID
447