Haeckel, Charlotte; Haeckel, Carl Gottlob

Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, mit Beischriften von Carl Gottlob Haeckel und Anna Sethe, Berlin, 7. Februar 1860

Lieber Herzens Sohn!

Diese Zeilen sollen Dir zu Deinem Geburtstag den herz innigsten Wunsch Deiner alten Mutter bringen, Gott gebe Dir zum neuen Lebensjahr seinen reichen Seegen, und komme bald zu uns zurück, das ganze Meer kannst und wirst Du doch nicht ergründen, also laß Dich mit dem genügen, was Du schon gefunden hast. Freuen werde ich mich wenn sich Dein Leben so gestaltet, daß Du bald Deine Anna heimführen kannst. –

Ottilie grüßt Dich, und wünscht Glück. Gott befohlen, mein Herzens Sohn, behalte lieb

Deine

alte Mutter. ||

[Beischrift von Carl Gottlob Haeckel]

7 Februar 60

Mein lieber Ernst!

So eben haben wir Deinen Brief vom 28 Januar erhalten. Vorige Woche haben wir recht gewartet, da kam Dein Brief erst den Donnerstag an statt Sonntag oder Dienstag. Nun wir sehen ja, daß Du wohl und fleißig bist. Was das Letztere betrift, so fürchte ich, daß Du Dir durch das Mikroskopiren in der Nacht die Augen verderben wirst. Thue das nicht, sondern halte Maas und denke an die Zukunft. Was hilft der augenblickliche Gewinn, wenn man sich Jahre lang das Leben verbittert. Daß Du dort manchmal in Gesellschaft kommst, ist ja recht schön. Die Nachläßigkeit im Theater hättest Du vermeiden sollen. Man sieht aber doch aus der öffentlichen Sitte den Despotismus hervorsprudeln, da ist es doch bei uns beßer, wenn vielleicht auch das anstößige Benehmen eines Einzelnen a auch auffällig gewesen wäre. Wir werden bei uns mit den Junkern, die sich als die ausschließlich dem Thron ergebenen darstellen, genug zu kämpfen haben noch Jahre lang. Indeß herrscht bei uns doch eine freiere Sprache und die unbedingte Unterordnung unter die herrschende Gewalt ist verschwunden. Der Mensch fühlt sichb als ein menschlich freies Wesen, das als solches respektirt sein will und sich nicht knechtisch unterwirft. Was Du von den romanischen Völkern urtheilst, mag wohl begründet sein. Die Franzosen kenne ich als solche äußerliche Wesen, und Du hast nun auch die Italiäner als solche kennen gelernt. Wie es mit den Spaniern steht c weis ich nicht. In dem Engländer zeigt sich aber schon das Germanische und in Deutschland tritt es wohl am entschiedensten hervor. Welcher ordentliche Mensch bei uns würde sich bloß an das Aeußere des Andern halten, blos dem Aeußeren nachjagen und blos dieses schätzen. Solche Leute gelten bei uns als ganz flache Gesellen, die man zur gemeinsten Race zählt, sie mag sich finden in welchem Stande sie will.

Annas Zustand hat sich sehr gebeßert, sie kann wieder mehr schlafen und hat auch beßeren Appetit. Sie war allerdings mehrere Wochen unwohl; und sie hat sich sehr nach Dir gesehntd, wie || denn solches auch bei Deinen Aeltern der Fall ist. Was Du uns über die Zeit Deiner Rückreise schreibst, wollen wir noch in nähere Erwägung nehmen. Ich denke mir immer: Du mußt doch Deinen Forschungen ein Ziel setzen. Willst Du warten, bis sich nichts mehr zu untersuchen findet, so kann das noch lange Zeit dauern. Andererseits möchte ich, wenn Du grade mitten in einer intereßanten Untersuchung begriffen ist [!], nicht gern darin stören. Suche Dich also einzurichten, daß Du spätestens Ende Maerz dort e abreisest. Ich habe immer geglaubt, Du reistest über Marseille, Lyon und Genf zurück. Da aber die kürzeste Tour mit wenigstem Aufenthalt über Paris geht, so will ich meinerseits nicht entgegen sein, wenn Du Dich einige Tage in Paris aufhältst und Dir wenigstens einen allgemeinen Ueberblick verschaffst. Ostern ist am 9 Aprill. Triffst Du Ende Maerzg in Paris ein, so könntest Du immer wenigstens in der Osterfeiertagswoche (Fasten Ende) hier eintreffen. Wir überlegen alles genau. Wir wollenh die Sache hier auch bedenken. Du sollst Diese Zeilen zu Deinem Geburtstag erhalten. Ich wünsche Dir dazu allen göttlichen Seegen und das beste sittliche, religiöse und wißenschaftliche Gedeihen Deines ganzen weitern Lebens. Ich bin allerdings sehr begierig, wie sich Deine innere Ausbildung an Geist und Charakter auch äußerlich ausgeprägt haben wird und hoffe das Beste! – Anna wird mit ihrer Mutter wahrscheinlich schon im Mai nach Heringsdorf gehen. Quinke wünscht dieses ihrer Gesundheit wegen, um bald die Seeluft zu genießen. Auch dieses wird Dich wohl bestimmen, nicht zu spät hier bei uns einzutreffen. Den Sommer über wirst Du dann genug zu thun haben. – Richthofen geht mit nach Japan, i ich sprach ihn am Sonnabend in der Geographischen. Er will Dich vorher noch einmal besuchen. Braun habe ich vor 8 Tagen besucht und ihm von Deinen Beschäftigungen j erzählt. Er und die Frau laßen Dich herzlich grüßen. Wir haben hier außerordentlich veränderliches Wetter, heute Schnee, morgen Regen, das ist unangenehm. Nun, wenn || Du zurückkehrst, wird das Wetter schon beßer sein. Die Freyenwalder sind wohl und auch Tante Bertha hat sich sehr gebeßert. Mit Mutters Befinden ist Quinke auch zufrieden, wenn sie gleich noch sehr matt ist und viel auf dem Sopha liegt. Mein Husten hat auch abgenommen und ich habe wieder mehr Kräfte und gehe aus, besuche Collegien und Vorträge und studiere. Für heute genug mein lieber Ernst

Dein Dich liebender alter Vater

Haeckel

[Beischrift von Anna Sethe]

Eben schicken mir die Alten dies Blättchen zur Freilage und ich beeile mich, den Brief zu beenden, 6 Uhr hat es geschlagen und der Kurierzug muß ihn mitnehmen. Der Dampfer thut hoffentlich auch seine Dienste und Du erhältst rechtzeitig unseren Geburtstagsgruß; meinen Blättern habe ich einen innigen Kuß aufgedrückt, da der besser meine Gefühle aussprechen kann, als die Feder; Du „Musterbräutigam“, feinen herrlichen Titel hast Du Dir geben lassen, den ich loben soll. Bin ich doch lange von der Musterhaftigkeit meines Erni überzeugt, und kann darum immer mit Stolz und innerer Genugthuung von Dir sprechen, wenn man mich neckt und mir sagt, Du kämst nicht heim, eine Italiener Fehe halte Dich ab. Wenn doch jedes Mädchen so wahrhaft überzeugt sein könnte von der reinen, edlen, wahren Seele ihres Geliebten, Mißtrauen würde man aus der Welt schwinden und besser es auf der Erde werden. Die Unwahrheit, und Alles, was damit zusammenhängt, sehe ich als die Wurzel alles Übels aller Mißverhältnisse, alles Unglücks an, und in dem Haß und Abscheu, den ich gegen sie habe, sehe ich eine Bürgschaft für unser Glück, für ein zufriedenes heiteres Leben. Das fehle Dir nie, mein lieber, lieber Schatz, auch in dem neuen Jahre nicht, das Du in Messina unter guten Vorbedeutungen antrittst. Laß Dich dort unter Deinen Freunden leben lassen, wie hier die Gläser auf Dein Wohl erklingen werden. Herzinnigen Gruß und Kuß von Deiner glücklichen Aenni, die am 16 besonders bei Dir weilen wird.

a gestr.: vielleicht; b eingef.: sich; c gestr.: wird; d eingef.: gesehnt; e gestr.: fort; g gestr.: Aprill; eingef.: Maerz; h korr. aus: wollest; i gestr.: er wa; j gestr.: rech

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
07.02.1860
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 44426
ID
44426