Haeckel, Karl

Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 28. Dezember 1859

Berlin 28 Dzbr 59

Lieber Bruder!

Glück zum neuen Jahre, alter Junge! Möge die Fülle radiärer Rhizopoden und anderer derartiger Meerungeheuer in dem neuen gegen das alte noch wachsen u. zunehmen u. Dir daneben in der Heimath die Herzen der Deinen ebenso warm u. theilnehmend schlagen, wie bisher! – Mutter hatte schon ein bischen Unruhe als Dein letzter Brief nichta ankam. Desto größer war die Freude, als er gestern endlich sich einstellte u. am Nachmittage auch der am 7. Dec. gesandte mit der zweiten Photographie u. der humorist. Beschreibung des in Messina eingesperrten Naturalista nachkam. Das Bild ist im Ganzen gelungen nur etwas angegriffen u. ermüdet siehst Du aus, wenn man Dich durch ein Brennglas besieht. Du mußt eine ungünstige Stunde zum Sitzen gewählt haben. Und doch wirst Du mich sehr erfreuen, wenn Du mir auch ein Exemplar für Mimmis Album schicktest, in welches ich kürzlich Landschaften u. andre Andenken hineingeklebt habe. – Ich baute Anna das Bild am heil. Abd. bei Mutter Mienchen mit auf. Den Schücking bekam ich nicht rechtzeitig (spare ihn mir für 16/2 auf), dagegen Witte, den ich zum Glück gleichzeitig bestellt hatte, u. ihr gestern Abend, wo hier bei d. Aeltern Aufbau war, hinlegte. – Aus deren letzten Briefen geht hervor, daß Du Dich immer wieder in alter Menschenscheu dort einspinnst; das ist demb Körper u. Geist nichts nutze. Wenn Du Dich den Tag über abgearbeitet u. zu abgespannt bist, um noch zu schreiben, so geh lieber aus u. erhole Dich in der Geselligkeit, die Dir immer etwas sein wird. Ferner da ich einmal beim Kapiteln bin, beziehe doch eine Stube mit Kamin, wenn die Kälte ärger wird. Du wirst Dich beim Arbeiten in d. kalten Stube sonst arg erkälten. Knausre nicht in diesem Punkte. Ebenso würde ich doch an Deiner Stelle auf dem Rückwege mich mindestens 14 Tage in Paris aufhalten. Es kann das höchstens 30–50 rℓ kosten; den rothen Baedecker in der Hand verschaffst Du Dir in dieser kurzen Zeit doch wenigstens einen hübschen Ueberblick über die Stadt u. ihr eigenthümliches Leben u. orientirst Dich über ihre wissenschaftl Schätze. Wer weiß, wann Du einmal später hinkommst! Was so am Wege liegt muß man unbedingt mitnehmen u. das unbedeutende Opfer an Geld u. Zeit nicht scheuen. Thut man das || nicht, so bereut man es später bitter.

Du willst etwas über unsre Zustände in der deutschen Sache wissen. Der ital. Krieg hat die Wirkung gehabt, daß das Bedürftniß nach Einheit in allen patriot. Kreisen Dtschld’s sich mächtig regte. Die sonst soc partikularistischen Hannoveraner (die das jetzige Regiment gründlich kurirt hat) an der Spitze, traten die Liberal-Nationalen der Mittel- u.d Kleinstaaten zu einem „nationalen Verein“ in Eisenach u. Frkft a/M zusammen, der durch Wort u. Schrift für den engeren Zusammenschluß Dtschld’s unter preuß. Hegemonie zu wirken sucht. Wenn dadurch die Ansichten über Preussen in Süddtschl. berichtigt werden, ist schon viel gewonnen. Es ist dies aber auch ein schwer Stück Arbeit. Die Mittelstaaten Baiern, Sachsen, Baden, Hessen, haben neuerlich wieder eine Konferenz in Würzburg gehalten u. suchen, als Gegenverein für die Trias zu wirken; sie wollen einige Bundesreformen, um Konzessionen zu machen, erstreben. Aber es kann aus diesem Kram nichts Gescheites werden. In den einzelnen Staaten regt sich nach dem Umschwunge in Preussen, der Sinn für Rechts- u. Verfassungsleben aufs Neue. Ine Hessen u. Mekelnburg [!] dringt man auf Restauration der 1849/50 wegoktroyirten Verfassungen. In Hannover sorgt die unvorsichtige Regierung indirekt für mögliche Liberalisierung des Landes. Bei uns sieht’s seit einigen Monaten etwas flau aus. Das neue Regiment ist nicht energisch genug u. legt die Hände zu sehr in den Schoos u. Bethmann Hollweg der in der letzten Kammer sich sehr tolerant äußerte, hat neuerlich die berühmten Raumer’schen Regulative über Gebühr in Schutz genommen. In d. Verwaltung ist man durch die vielen reaktionären oberen und unteren Beamten sehr gelähmt u. hat nicht den Muth, sie in großem Maaßstabe durch andere zu ersetzen. Die Heeresorganisation, wie sie v. Bonin zweckmäßig vorschlug, hat oben nicht Beifall gefunden u. soll in soldatischerem, mehr gamaschenmäßigen Sinn durch v. Roon durchgeführt werden. Gegen alles dies wird die liberale Kammermehrheit mit Energie sich erheben müssen u. es deshalb wohl in der bevorstehenden Session nicht so glatt abgehen. Mancher hofft, der Prinz Regent werde, wenn er erst ganz im eignen Namen regiert, auch entschiedner handeln. Lange kann die fortschreitende Auflösung des siechen Königs nicht mehr dauern. – Den Alten geht’s leidlich, den jungen Haeckels wohl. Wir reisen den 2t Januar nach Freienwalde zurück. Ade. Dein treuer Bruder

Karl.

a eingef.: nicht; b eingef.: dem; c eingef.: sonst so; d eingef.: Mittel- u.; e korr. aus: in

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
28.12.1859
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 44409
ID
44409