Gegenbaur, Carl

Carl Gegenbaur an Ernst Haeckel, Jena, 19. Oktober 1859

Jena, 19. October 1859.

Lieber Herr Doctor!

Nachdem ich gestern unter dem Flammenschein der Bergfeuer hier meinen Einzug gehalten ist es nach sechswöchentlichen sehr zerstreuungsreichen Ferien meine erste That, wenn ich es so nennen darf, eine Schuld gegen Sie mit diesem Briefe abzutragen. Daß es mir nicht möglich gewesen ist persönlich in Messina mit Ihnen zusammenzutreffen haben Sie sich wohl schon längst klar gemacht. Die Umstände, und unter diesen vorne an die Einrichtung der neuen mir höchst liebgewordenen Anatomie hielten mich bis in den September hier zurück, und dann konnte ja nicht mehr an eine weitere Reise gedacht werden. Ich muß also, für dießmal wenigstens, darauf verzichten in Ihrer Gesellschaft an jenem herrlichen Gestade zu verweilen, nach welchem ich mich so viele tausendmal schon zurückgesehnt. Ihre Schilderung von Capri war nicht wenig geeignet diese Sehnsucht von neuem anzuregen, und von den Schätzen mich träumen zu machen, welche die blaue Meerfluth birgt. Daß Sie trotz ungünstiger Verhältniße in Neapel doch nicht leer ausgingen hat mir Ihre schöne Entdeckung der Seesternaugen gezeigt, von denen ich neulich bei Kölliker Ihr großartiges, wirklich recht gut ausgeführtes picture gesehen habe. Gratulire herzlich zu der Entdeckung! Habe mirs immer gedacht daß diese Bestien ihre Armspitzen nicht ohne Grund nach oben wenden! Haben Sie || auf den Ocellarplatten der Seeigel nichts ähnliches gefunden? Es wäre zu verwundern wenn diese darin mehr vernachläßigt wären als ihre Cousinen die Asteriden. Ich will hoffen und wünschen daß die gütigen Meergötter auch am Siculerstrande sich Ihnen freundlich erweisen, und daß die täglich in das Sichelbecken des Hafens treibende Rema Ihnen nicht weniger reiche Wanderzüge jener wunderbaren Fauna zuführe, als, mir wenigstens, vor Jahren anzustaunen vergönnt war, und von deren Pracht sechs verfloßene Jahre mir noch nichts aus der Erinnerung vertilgten. Doch Sie Glücklicher genießen das alles wohl jetzt, und den herrlichen Himmel und die vielgliedrige sich weithin bis zum mont’aspero gipfelnde Küste Calabriens! und das tiefblaue Meer in dem sich Reggio spiegelt und die zahllosen weißschimmernden Dörfer bis gegen Scylla hinauf. Wie unnütz das alles mir zu schreiben, werden sie denken, ich habs ja und seh’ es, allein Sie müssen mir, dem nicht Sehenden verzeihen wenn er ein Stückchen Erinnerung wieder einmal etwas nachlässig in die Feder fließen läßt. Ist doch die Erinnerung unser Bestes, denn sie läßt meist nur das Gute und Schöne nachempfinden, und bedeckt mit immer dichterem Schleier was unangenehm vordem uns nahe trat. –

Sie haben mich in Ihrem Briefe zu einer Bitte provocirt, die Sie nun auch hinnehmen müssen; nämlich, was die Bestien betrifft, würde ich Ihnen äußerst dankbar sein, wenn Sie mir einiges sammelna wollten. Fische und Cephalopoden kann ich außerordentlich gut brauchen, theils für die zoologische, theils für die zootomische Sammlung dahier, welche letztere besonders armselig an Weichpräparaten ist. Ich glaube die Mittel zu haben Ihnen || alle Auslagen ersetzen zu können, wenn Sie daher Lust und Zeit haben für mich etwas Bedacht zu nehmen so stecken Sie so viel als möglich in Spiritus. Brauchbar ist mir Alles, die gemeinsten Dinge vom Fischmarkte. In Berücksichtigung daß zootomische Präparate mir vor allem noththun, wären mir mehrfache Exemplare einer Species um so lieber, namentlich lassen Sie sich für die Selachier dieß ans Herz gelegt sein. Sie sehen ich bin recht unverschämt, allein erkenne auch Ihre Freundlichkeit, und weiß daß Sie zum mindesten mich entschuldigt halten, wenn ich durch die Noth zum Betteln getrieben werde. Können Sie also etwas für mich zurechtbringen so thun Sie es und senden Sie es direct hieher an meine Anstalt, damit Sie mit Transportungelegenheiten nicht belästigt sind. – Wenn ich Sie nicht allzusehr an Berlin gefesselt glaubte so würde ich Ihnen jetzt den Vorschlag machen sich später hier niederzulassen, denn ich wüßte keinen Besseren dem ich die Zoologie anvertrauen könnte. Leider hatte ich meine Hoffnung auf einen jüngeren Mann gesetzt der viel versprach und sich auch für jene Disciplin oder Verwandtes zu habilitiren beabsichtigte; das letztere wird nun wohl ausgeführt werden allein ich sehe keine Anstalten zu einem wirklichen Studium, und kann mir nicht denken wie dabei etwas herauskommen soll! Aehnlich geht es mir mit meinem Prosector! Eine Unterstützung geht mir also durchgängig ab, und da es nicht möglich ist alle morphologischen Fächer selbst zu lesen, bleibt mir nichts übrig als sie entweder schlechten Händen anzuvertrauen oder sie gar nicht vertreten zu lassen; Ich ziehe letzteres dem ersten vor. Daß || unter solchen Umständen meine ganze hiesige Stellung viele ihrer sonstigen Annehmlichkeiten einbüßt, können Sie wohl glauben, bitte von diesen Mittheilungen keinen weiteren Gebrauch zu machen.

Indem ich Ihnen zum Schluße noch Grüße von Leydig, den ich neulich in Tübingen besucht melde füge ich diesen die meinigen von ganzem Herzen bei und wünsche aufrichtigst besten Erfolg Ihren Bestrebungen und glückliche Beendigung Ihrer Reise.

Ihr Sie hochschätzender

Gegenbaur.

Bezolden, dem es hier ganz gut geht, ist noch in Berlin, sonst könnte ich wohl auch Grüße von ihm beifügen.

Als Neuigkeit noch: In Würzburg hat sich ein Jung-Zoologe habilitiert. Claus aus Marburg, deßen Crustaceen Arbeiten Ihnen wohl bekannt sind. –

Noch bitte ich Sie mich bei Herrn Jaeger zu empfehlen, dessen gastliches, von mir allerdings durch die Bestimmungen etwas vernachlässigtes Haus, bei mir noch in guter Erinnerung steht. Auch freundliche Grüße an Herrn Klostermann.

a korr. aus: S

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
19.10.1859
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 44401
ID
44401