Ernst Haeckel an Theodor Hagen, Jena, 26. Januar 1894
Jena 26. Januar 1894.
Hochgeehrter Herr Professor!
Mein Sohn Walter hat seit einigen Tagen ein Bild in Weimar ausgestellt, von dem er glaubt, daß es das gelungenste unter seinen bisherigen Versuchen sei! Ich würde Ihnen sehr dankbar sein, wenn Sie dasselbe genau betrachten und mir ganz kurz Ihr aufrichtiges Urtheil über dasselbe mittheilen wollten. Natürlich lege ich auf Ihre Ansicht ganz besonderen Werth. |
Walter war diesen Sommer in Mecklenburg recht fleißig und hat eine größere Zahl Studien heimgebracht als sonst. Auch an dem ausgestellten Bilde hat er mit großer Liebe und Ausdauer gearbeitet. Aber nach meinem Gefühl ist keine seiner Studien ein fertiges Bild; es fehlt immer noch am letzten Abschlusse. Die meisten Studien sind unfertige realistische Entwürfe, wie sie jetzt so zahlreich auf Ausstellungen sind. |
Übrigens hat mein Sohn auf der Reise nach Sicilien und Tunis (im letzten Frühjahr) Viel gelernt und gesehen, aber sehr wenig gemalt. Sonst hat ihm die Reise für seine allgemeine Bildung Viel genützt.
Sein großer Fehler ist nach meiner Ansicht (– immer gewesen! –), daß er Alles aus sich heraus machen, und Nichts von Anderen lernen will, weder von den Leistungen noch von den Fehlern anderer Künstler. |
Diesen Sommer will Walter im Freien malen, entweder bei München (mit Hoelzel?) oder in Holland, mit einem Vetter von mir (Landschaften), der ihn eingeladen hat. Was meinen Sie dazu?
Indem ich Ihnen im Voraus für jeden bezüglichen Rath herzlichst danke, bleibe ich
Mit vorzüglicher Hochachtung
Ihr ergebenster
Ernst Haeckel.