Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Anna Sethe sowie Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Jena, 15. – 18. August 1858

Jena am 15ten August 1858.

Daß die lieben, schönen Jenenser Berge mit ihren weißen Kalkfelsen, blumigen Abhängen, den freundlichen Dörfern an ihrem sanft aufsteigenden Fuß und der vielgeschlängelten Saale in ihren grünen Auen, mit all dem Reiz, den die liebliche Natur und die akademische Geschichte im Verein dieser alten deutschen Universitätsstadt verleihen, mich schon so bald, nach kaum 3 Monaten wieder erfreuen würden, hatte ich bei meiner letzten Anwesenheit in Jena zu Pfingsten nicht gedacht. Und wenn damals die Gastfreundschaft des Prof. Gegenbaur und die Anmuth der hiesigen Verhältnisse, mit denen er mich bekannt machte, den angenehmsten Eindruck von der so lange nicht gesehnen Stadt zurückließen, so kamen diesmal noch die ganz außerordentlichen Eindrücke dazu, die durch die 300jährige Jubelfeier der Universität sogleich in festlichster Weise hervorgerufen wurden, und das Zusammensein mit einigen anderen jungen Professoren, die auch bei Gegenbaur waren. Unter diesen der liebenswürdigste und älteste Max Schultze, Prof. der Anatomie und vergleichenden Anatomie in Halle, einer der liebsten Menschen, die ich habe kennen lernen. Ihm verdanke ich auch die Anregung zu dieser Reise, die mir ohne seine Anregung am 12/8 nicht in den Sinn gekommen wäre. Wir fuhren verabredetermaßen zusammen am Samstag, 14/8 früh 7 Uhr von Berlin fort und verplauderten die 4 Stunden lange Fahrt durch die langweilige Mark so nett, daß wir unversehens in Halle waren. Dort aßen wir zusammen zu Mittag und fuhren um 2 Uhr mit der Thüringer Bahn weiter. Der Zug war, wie auch früh der Berliner, außerordentlich groß und mit Jenenser Festgästen überfüllt. Unter der sehr bunten Reisegesellschaft, zum Theil ganz alte, grau- oder weißhaarige Männer mit ihren frühern Studentenverbindungsabzeichen, befanden sich 3 sehr nette und freisinnige Magyaren, aus weit entlegenen Orten Siebenbürgens und Ungarns, der eine von ihnen ein wunderschöner Mann mit mächtiger Adlernase und Bart, schwarz funkelnden Augen und langen Haaren. Sie waren, wie auch die übrigen alten Studenten (namentlich ein Dr. Meyer aus Luebek (Vorsteher einer Mädchenschule), urfidel und vergnügt und fingen allen möglichen Unsinn an, trotz der drückenden Augusthitze, die in den überpackten Coupées wirklich in Schweiß uns badete. Die reizende Naumburger Gegend wurde allgemein bewundert. || Der Troubel und die tosende Verwirrung bei der Ankunft in Apolda waren unbeschreiblich, da von den vielen 100 Festgästen nur wenige, wie ich, gesonnen waren zu Fuß gehen. Post und Omnibus waren natürlich gleich überfüllt und so hoffte ich schon, mein Plan, zu Fuß zu gehen, auch bei meinen Reisegefährten durchzusetzen. Doch hatte Max Schultze dazu wenig Lust und so begaben wir uns in die Stadt, wo wir einem Leiterwagen begegneten, der von mehreren alten Jenenser Burschen mit Gewalt gestürmt wurde. Wir unterstützten sie kräftigst und zwangen den Kutscher, uns nolens volens nach Jena zu fahren. Das war nun eine der komischsten Touren. Der Leiterwagen wurde querüber und der Länge nach mit Brettern belegt, auf denen wir über einen Haufen von Kisten, Koffern und Reisesäcken es uns so bequem als möglich machten. a Max Schultze und ich saßen dem Kutscher am Nächsten, mir gegenüber der Dr. R. Heim aus Halle, früher Redacteur der Constitutionellen Zeitung, jetzt Herausgeber der preußischen Jahrbücher, ein sehr angenehmer Mann, ruhig und fest, mit einer feinen, sehr an Schiller erinnernden Physiognomie. Auf dem übrigen Theil des Leiterwagens saßen, lagen und standen noch 11 Menschen durcheinander, so daß wir mit dem Kutscher zusammen 15 Stück waren. Von ähnlichen, in buntester Weise bepackten Wagen war die ganze Chaussée bis Jena bedeckt und wir hatten vielen Spaß mit den Begegnenden und Wettfahrenden. Die Fahrt selbst war bei dem klaren Wetter prächtig und wir litten wenig von dem dicken Staub auf unsern erhöhten Sitzen. Schon vor unserer Ankunft sahen wir aus der Ferne die Thürme und Dächer reich mit Fahnen geschmückt. Vor dem Thor fuhren wir durch einen reizend mit Moos bekleideten Triumphbogen. Höchst überraschend aber war der Anblick im Innern der lieblichen Stadt selbst, wo jedes einzelne Haus auf das Allerginalischste und Geschmacksvollste mit frischen, grünen, blumenreichen Guirlanden, Kränzen, Bouquets und Fahnen geschmückt. Nicht ein Stockwerk irgend eines Hauses, das ich sah, war schmucklos und selbst die ärmste Hütte war wenigstens mit Eichenlaub reichlich staffirt. Dazu flatterten von allen Thürmen und Dächern viel bunte Wimpel und Fahnen, meist in den Landesfarben der 4 sächsischen Herzogthümer, viele aber auch in den deutschen Farben. Die Straßen überall von Triumphbogen geschmückt. Als wir um 3 Uhr Nachmittags ankamen, wimmelte es in allen Straßen dergestalt von zahllosen fremden Gästen und einheimischen Festfeiernden, daß wir absteigen und uns zu Fuß durch die Menge hindurch arbeiten mußten. Wir gingen sogleich zu unserem alten Gastfreund, Prof. Carl Gegenbaur, auf den Fichteplatz, der uns aufs freundlichste aufnahm, trotzdem Prof. Victor Carus aus Leipzig und Prof. Nicolaus Friedreich aus Heidelberg schon mehrere Zimmer besetzt hatten. Ich wurde mit Carus in die Rumpelkammer gelegt, wo ich auf einem Strohsack, in meinen Plaid gewickelt, ganz vortrefflich geschlafen und mich überhaupt sehr wohl befunden habe. In einem Gasthof unterzukommen wäre absolut unmöglich gewesen. Wir hatten uns kaum etwas eingerichtet und bewillkommet, als sich schon der Anfang der Festfeier durch das Läuten aller Glocken am Vorabend bemerkbar machte. Wir gingen auf die Brücke hinaus und dort auf und nieder. Kaum war es dunkel geworden, als ein überaus schönes Schauspiel begann. Auf allen den vielen Bergkuppen rings umher fingen nämlich gleichzeitig prächtige große Freudenfeuer an zu lodern und außerdem wurden am Abhange vieler Berge durch viele Hunderte mit Fackeln bewaffneter Bauern, die künstlich in Linien reihenweis gruppirt waren, sehr schöne bunte Feuerlinien und Figuren gebildet, die sich zum Theil schlangengleich den Abhang hinab entwickelten. Aus den Wiesen und vom Flusse stiegen bunte Leuchtkugeln und flammende Raketen in hohem Bogen empor und der Wasserspiegel reflektirte die vielen Lichter prächtig. Nachdem wir b dies herrliche Flammenspiel hinreichend bewundert, gingen wir nochc kurz in die „Festhalle“, ein colossales, bloß für dieses Fest eingerichtetes und 3000 und mehr Menschen fassendes Gebäude, offen, bloß mit Holzdach, welches in dem sog. „Paradies“, einer wiesen- und waldreichen Aue vor der Stadt, zur ersten Aufnahme und Begrüßung der Gäste bestimmt war. Da jedoch unter der großen Menschenmasse keine weiteren Bekannten herauszufinden waren, gingen wir noch in unsere alte Kneipe „zum schwarzen Bären“ und schliefen bald darauf trefflich in unserer neuen Behausung ein. ||

Jena 18/8 58 / Mittwoch Abend

Liebe Eltern!

Dieser Brief soll Euch zunächst benachrichtigen, daß ich nicht morgen, sondern erst Sonntag, oder vielleicht schon d Samstag, Abend, zurückkomme. Gegenbaur hat mich nämlich aufgefordert, mit ihm eine kleine Fußtour ins Schwarzathal zu machen, und da es das allerherrlichste Wetter ist, konnte ich der Versuchung nicht wiederstehen. Wir werden Morgen (Donnerstag) früh weggehen (über Kahla und Rudolstadt) und 2–3 Tage unterwegs sein. Schickt diesen ganzen Brief sogleich an Anna weiter (auch dies Blatt). Das große mit den Bildern könnt ihr lesen, das kleine an Anna aber nicht. Besorgt es aber gleich. Mir ist es hier außerordentlich gut ergangen, Alles viel schöner und besser als ich gedacht hatte. Die ausführliche Beschreibung des überaus herrlichen Festes werdet ihr schon in den Zeitungen gelesen haben. Es war von schönstem Wetter begünstigt. Ich habe viel Bekannte getroffen, u. a. Karo, Sydow, Gneist und Heim ebenfalls gesehen. Wir 4 (3 Professoren und ich) waren hier bei unsrem äußerst freundlichen Wirth (C. Gegenbaur) sehr vergnügt beisammen. Ich bin sehr munter und frisch, nur heut Abend vom Bergklettern sehr müde, weshalb ich kurz schließe. Beckmann wird ja wohl, Virchows Äußerungen nach, nicht gekommen sein. Andernfalls grüßt ihn herzlich und bittet ihn dringendst, auf meine Zurückkunft zu warten.

Mit herzlichstem Gruß an euch, Karl und Tante Bertha

Euer treuer Ernst. ||

Jena 18/8 58

An Anna allein.

Gar zu gern hätte ich schon längst einen Brief an Dich abgeschickt, mein Herzensschatzchen, damit Du erfährst, wie es hier in dieser hohen Festzeit in unserm lieben Jena aussieht. Auch habe ich gleich am Sonntag zu diesem Zweck mich hingesetzt, bin aber nicht über die beiden ersten Seiten, die ich Dir mitsende, hinausgekommen, da meine 4 Hausgenossen, die Professoren Gegenbaur, Schultze, Carus und Friedreich, mir kaum einen Augenblick Ruhe und Muße lassen, so daß ich seit Sonntag keinen Augenblick frei hatte, wo ich an Dich, liebstes Herz, hätte schreiben können. Nun Du mich aber gestern Abend durch einen so lieben langen Brief erfreut hast, sollst Du heut auch gleich Antwort haben, wenn sie auch noch so kurz und unvollständig ist, da mir die Augen vor Müdigkeit zusinken. Vor allem wünsche ich, daß der böse Katarrh Dich nun endlich verlassen haben möge. Das ist ja recht schlimm, daß der so hartnäckig ist. Nimm Dich nur recht in Acht. Halt Dich lieber ein paar Tage ganz zu Hause, schwitze ein paar mal tüchtig und halte namentlich den Hals recht warm. Auch kannst Du noch einmal ein Senfpflaster legen. So lange aber der Husten noch nicht nachgelassen hat, darfst Du nicht in der See baden. Sorge nur recht für Dich, fein liebes Herzchen und denke, daß Du mein Eins und Alles bist und Dich recht munter und gesund für den September halten mußt. Mein Hals, der bei der Abreise von Berlin noch recht schlimm war, ist hier in dem lieben Jena gleich ganz gut geworden. Überhaupt geht es mir hier sehr gut und ich vermisse nur Eins, das aber auch sehr, an all dem Schönen, Lieben und Guten, das mir hier zu Theil wird. Kannst Du Dir wohl denken, was das Eine ist? || Was nun das Wichtigste betrifft, nämlich die Reise nach Messina, so ist mein Entschluß jetzt endlich so ziemlich reif und bedarf nur noch Deiner allerhöchsten Bestätigung. V. Carus geht nämlich bereits Mitte September fort und weßhalb ich da nicht mit kann, weißt Du wohl noch besser als ich. Also werde ich erst gegen Weihnachten oder gleich nach Neujahr gehen und die Zeit bis dahin tüchtig zu Vorbereitungsstudien benutzen. Freilich wird es Dir wohl hart vorkommen, daß Du dann noch 2–3 Monate in Berlin mit dem Stricke zusammen sein mußt?! – Die weiteren Gründe, weshalb ich das Alleinreisen vorziehe, mündlich. Auch die nähere Beschreibung des Festes muß ich Dir auf Nächstes aufsparen, da ich heut Abend zu müde bin, um noch vernünftige Gedanken zusammenzubringen. Auch wirst Du das Ausführliche schon in den Zeitungen gelesen haben. Heute nur soviel über den nächsten Plan. Heute früh sind Schulze und Carus abgereist. Morgen früh um 7 Uhr geht auch Friedreich ab und gleichzeitig wollen Gegenbaur und ich uns auf die Beine machen, um eine kleine Fußtour ins Schwarzathal von 2–3 Tagen zu machen, nach welcher ich dann direct nach Berlin zurückkehre, wo ich also Samstag oder Sonntag Abend eintreffen werde. Da werde ich dann gewiß gleich bei der Ankunft durch einen Brief von meinem lieben, süßen Schatz überrascht werden und sie soll dann zur Belehrung auch gleich eine recht lange und ausführliche Antwort haben. Sei mir 1000 mal gegrüßt und geküßt mein liebes Herz, und mache vor Allem, daß Du wieder bald ganz munter und gesund bist. Hier in dem lieben Jena hast Du mich überall auf Schritt und Tritt begleitet. Und morgen mußt Du mir das schöne Schwarzathal verherrlichen.

Grüße Mutter Hermine und die Kleinen bestens.e

a gestr.: Gegenb; b gestr.: noch; c gestr.: viel; d gestr.: Sch; e Text kopfüber weiter am Seitenanfang: Grüß Mutter … Kleinen bestens.

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
18.08.1858
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 44268
ID
44268