Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Wilhelm Haacke, Jena, 18. Oktober 1894

Herrn Dr. Wilhelm Haacke

Jena 18 October 1894.

Geehrter Herr Doctor!

Die historisch-kritische Studie über alte und neue Entwicklungslehren in Nr 32–38 der Berliner „Naturwissen. Wochenschrift“ welche Sie die Güte hatten, mir vor einigen Tagen zu überreichen, habe ich mit größtem Interesse und besonderer Aufmerksamkeit wiederholt gelesen. Mit Bedauern habe ich daraus erfahren – was mir schon aus Ihren Schriften der letzten Jahre klar wurde –, daß unsere allgemeinen Anschauungen in der Entwicklungslehre immer weiter sich von einander entfernen. Wenn wir auch in wichtigen Grund-Principien – wie namentlich in Betreff der Epigenosis und Praeformation – übereinstimmen, so vermag ich doch Ihrer Gemmarien-Theorie nicht zu folgen. Namentlich || aber gehen unsere Ansichten über viele neuere Entwicklungs-Theorien und ihrea Vertreterb (z. B. His, Roux, Naegeli, Suell, Dreyer, Driesch etc) diametral auseinander.

Mit noch größerem Bedauern – und ich gestehe mit einiger schmerzlicher Überraschung – habe ich aber aus Ihrer historisch-kritischen Darstellung erfahren c daß Sie meinen eigenen Bemühungen und Förderung der Entwicklungslehre, denen Sie früher als eifriger Schülerd einige Anerkennung zollten, gegenwärtig im höchsten Maße gering schätzene, so gering, daß Sie es nicht einmal der Mühe wert hielten, in dem Litteratur-Verzeichniß der Entwicklungslehre, (in welchen die Werke von His, Roux, Gulick, Dreyer etc aufgeführt sind) meiner „Generellen Morphologie“ (1866 u. „Natürliche Schöpfungsgeschichte (1868) etc etc) auch || nur Erwähnung zu thun. Von meinen sämtlichen, seit 30 Jahren erschienenen Arbeiten über Entwicklungslehre (– auch im Texte –) weiter Nichts, als daß ich, – Nr. 21 unter den 25 angeführten Autoren) in der „Perigenesis“ einen verunglückten Versuch zur Erklärung der Vererbung gemacht habe. f Seit 20 Jahren habe ich mich daran gewöhnt, von meinen früheren Schülern bekämpft und wiederlegt [!], nachher beschimpft u. verspottet zu werden. Die Herren Dohrn, Kleinenberg, Hamann haben hierin Bedeutendes geleistet; und jetzt sind die Herren Driesch, Dreyer u. Herbst – wie mir mitgeteilt wird –, bereit ihrem Beispiel zu folgen. Von Herrn Dreyer, mit dem Sie jetzt viel verkehrt haben, ist dieses Verfahren insofern nicht erfreulich, als derselbe mir seine ganze wissenschaftliche Existenz verdankt.

Glauben Sie nicht geehrter Herr Doctor, daß ich deßhalb besonders empfindlich bin! || Im Gegenteil! Aber ich habe mich, nach so mancherlei schlimmen Erfahrungen, daran gewöhnt, mit früheren Schülern, die später ganz andere oder entgegengesetzte Bahnen einschlagen, jeden Verkehr abzubrechen, und ich habe gefunden, daß sich beide Theile dabei am Besten befinden. Daher bitte ich jetzt auch Sie – in unserem beiderseitigen Interesse – auf jeden ferneren schriftlichen u. mündlichen Verkehr mit mir zu verzichten. Für Ihr weiteres Fortkommen und Ihre Stellung in der wissenschaftlichen Welt verlieren Sie dadurch gar Nichts. Denn wie Sie wissen, ist meine eigne Stellung eine sehr isolierte, und mein Einfluß bei der Besetzung von Stellen etc. gleich Null!

Überdies würde ich Ihnen gegebenen Falles mit keiner Empfehlung mehr dienen können, nachdem ich dies wohl 20 Jahre hindurch gethan und Sie die gewonnenen Positionen wieder aufgegeben haben. Wenn ich Ihnen schließlich noch einen Rath geben darf, so ist es der, gründlicher u. gewissenhafter in Ihren Arbeiten zu sein, u. weniger oberflächlich in der Behandlung schwieriger allgemeiner Probleme. Auch in der Wissenschaft muß die moralische Ausbildung mit der intellectuellen Hand in Hand gehen, wenn gute Resultate von solidem Werthe u. bleibender Geltung erreicht werden sollen.

Ihr alter Lehrer

Ernst Haeckel

Selbstverständlich bedarf es keiner Antwort da mein Entschluß nach reiflicher Überlegung ein definitiver ist. E. H.

a korr. aus: neuen; b korr. aus: Vertretern; c gestr.: daß Sie früher als eifriger Schüler einige Anerkennung zollten, und daß Sie meinen eigenen Bemühungen und Förderung in der; d eingef.: Schüler; e korr. aus: schätzten; f gestr.: Seit 20 Jahren habe

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
18.10.1894
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 44246
ID
44246