Crompton, Ella von

Ella von Crompton an Ernst Haeckel, Wilmersdorf, 16. Januar 1911

Wilmersdorf, Ringbahnstr. 247.

16.1.11.

Hochverehrte Excellenz,

recht herzlichen, aufrichtigen Dank für Ihren lieben Brief, der mich über Ihr Wohlergehen so beruhigte. Von Herzen hoffen ich, daß auch diese Zeilen, Sie, hochverehrter, lieber, guter Herr Geheimrat, recht gesund antreffen möchten. Aufrichtig leid tut es mir, daß Sie nun wieder einen Ihrer aufrichtigen Anhänger, Kapitän v. K[oerber] durch dessen hoffnungslose Erkrankung verlieren. Hingegen freut es mich sehr, daß auf Ihren Einfluß hin, Herr Prof. Ostwald, die Leitung des Monistenbundes übernommen hat. Nun wird hoffentlich der || frische Zug, der so sehr nottut, hineinkommmen. Der Bund darf doch nicht so weiter stagnieren; wir müssen immer weitere Kreise interessieren und auch mehr in’s Volk dringen, wenn ja wohl auch immer Schichten bleiben werden, die unberührt von allem Fortschritt verharren. Denn wer könnte denen, die einst ohne Gründe glauben lernten, das – durch Gründe umwerfen?

Daß Herr Prof. Ostwald auch Landschaftsmaler ist, freut mich sehr und erscheint mir als eine Gewähr mehr für seine Leitung. Solche Naturen sind ohne Falsch und großzügig. Es ist doch merkwürdig, wie viele große Männer gleichzeitig Landschafter gewesen sind, wie unser Goethe und Andere. Ach, Herr Geheimrat, ich habe || mich Sonntag wieder zu sehr über Ihre wundervollen Wanderbilder gefreut. Was für ein reiches, volles Leben leben Sie doch dadurch, welch unerschöpflichen Schatz haben Sie uns anderen dadurch geschenkt! –

Übrigens, hochverehrter, lieber, guter Herr Geheimrat, so sehr ich mich schon über die Absägung des ungeschickten Vielhaber gefreut, so wenig scheint es mir doch damit Ernst zu werden. Wie Sie aus beiliegender Einladung zur Hauptversammlung ersehen, steht auf der Tagesordnung sogar die „Honorierung“ dieses Menschen. Abgesehen davon, daß das Amt des Vorsitzenden eines solchen Vereins eigentlich ehrenamtlich sein müßte, ist es doch ganz unglaublich, einen solch ungeschickten Vorsitzenden auch noch für seine Dummheiten || und dadurch entstandenen, kaum gut zu machenden Schaden zu honorieren. Daß er sich auch weiter so tölpelhaft benimmt, zeigt doch der taktlos abgefaßte Titel des Lichtbildervortrags vom Baege, dessen Abänderung er als Vorsitzender sofort hätte veranlassen müssen.

Was sagen Sie, hochverehrter, lieber Herr Geheimrat, eigentlich zu den „uniformierten“ Senatoren der Kaiser-Wilhelm Stiftung? Da habe ich immer gedacht, es liege wohl nur an der Umgebung und er selbst hätte eigentlich nur die Funktionen eines „Fimmel-Gottlieb“; ein Vergleich, den Th. Mann in seiner „Kgl. Hoheit“ in Bezug auf den regierenden Großherzog zieht. Ist Fimmelgottlieb doch ein Mann, nicht ganz bei Trost, der zu jedem || Zug auf den Bahnhof läuft, die Räder, das Gepäck prüft, sich wichtig macht u. wenn das Abfahrtssignal gegeben, dem Lokomotivführer mit der Hand winkt und sich dann einbildet, daß der Zug auf sein Winken hin abgegangen. – Es ist doch aber schade um die vielen Millionen, die nicht dazu dienen werden, dem Volk die wahre, völlige Aufklärung zu bringen. Herrscht doch immer die ewige Angst, daß Ihre, unserer Wissenschaft den Platz behaupten könnte. Denn „den Schaffenden hassen sie am meisten, den, der alte Tafeln bricht und alte Werte, den Brecher – den heißen sie – Verbrecher!“ –

Seit voriger Woche haben die Kunstvorträge wieder begonnen, die mir viel Freude und Anregung || bereiten. In „mittelalterliche Kunst“ haben wir neulich die wundervollen Figuren des Naumburger Dom’s gehabt, ich bedauerte es zu sehr, daß ich dieselben, obgleich ich ihnen damals in Thüringen so nah war, nicht gesehen habe, sondern sie jetzt nur durch Abbildungen kennen lernen mußte. Dann ist mir noch ein Thema besonders lieb: „Die Landschaft“ bei den alten Flandern, Venezienern, Deutschen etc.“ Es ist so schön, alle die schüchternen Anfänge zu verfolgen, der unermeßlichen Natur ihre Schönheiten abzulauschen! –

Sonst habe ich mich jetzt viel mit Raphael nach Grimm beschäftigt und Vergleiche angestellt mit einem großen Werk von Dr. Fischel, das derselbe herausgiebt, wohl zum || Frühjahr, die neuesten Forschungen von Raphael’s Handzeichungen betreffend, die größtenteils in Oxford u. Lille sind. In die großen reichhaltigen Mappen mit Probe Reproduktionen gewährte er meinem Mann und mir neulich Einblick.

Nun habe ich nur noch Jak. Burkhardt’s „Geschichte der Renaissance in Italien“ von meinem Mann gewünscht, um mein Wissen etwas zu erweitern. So etwas „Butter auf’s Brot“ braucht doch der Mensch und mir ist dieselbe: „viel lernen können“ u. meine Kunst. –

Doch hochverehrter lieber, guter Herr Geheimrat, sein Sie mir bitte nicht böse, daß ich so unverantwortlich lange geplaudert und Sie damit so aufhalte. Ach, ich würde || mich ja so unendlich freuen, Sie im Frühling wiedersehen zu können!

Mit den aufrichtigsten Wünschen und herzlichsten Grüßen, auch wieder einmal auf eine kleine Nachricht über Ihr Ergehen hoffend, bin ich stets und immer

Ihre Sie hochverehrende, Ihnen aufrichtig treu ergebene, innig dankbare

Ella v. Crompton geb. Gewert.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
16.01.1911
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 4404
ID
4404