Gibraltar 18. März 1867.
Liebe Freunde in Jena!
Da vermuthlich der Brief, den ich heute an meine Eltern abgeschickt habe und der das Tagebuch über unsere Rückfahrt von Lanzarote nach Europa enthält, erst in einigen Wochen nach Jena gelangen wird, Ihr aber doch vielleicht gerne hört, daß ich trotz Orkanartigem Sturm und Unwetter, trotz Beduinen und Negern, trotz Skorpionen und Schlangen, glücklich und unversehrt wieder in dem lieben, alten Europa angelangt bin, so sende ich Euch von hier direct diese flüchtigen Zeilen. Gestern am Sonntag 17. März Mittags 3 Uhr habe ich nach viermonatlicher Abwesenheit wieder den europäischen Boden betreten, welchen ich am 15. November 1866 verlassen hatte. a Ihr könnt Euch kaum vorstellen, welchen blendenden und anziehenden Eindruck Gibraltar, als die erste mit europäischer Cultur ausgestattete, und noch dazu mit englischem Comfort versehene Stadt auf uns macht, nachdem wir ¼ Jahr hindurch nur die elenden, öden Hütten Lanzarotes und zuletzt die primitiven Hafenstädte der afrikanischen Nordwestküste gesehen hatten. Alles erscheint uns durch diese mächtige Contrast-Wirkung hier doppelt angenehm und anziehend, und das Wandern durch die halb spanisch, halb englisch ausgestatteten Straßen mit ihren reichen Läden, ihrem lebendigen europäischen Menschengewühl, läßt uns alle Vorzüge und Reize der europäischen Civilisation lebhaft empfinden. Selbst die mäßige Table d‘hôte unsers Gasthofes – ein ganz ungeahntes Vergnügen – erscheint uns als ein lucullisches Prunkmahl, nachdem wir 15 Wochen hindurch fast nur in ranzigem Öl gebackene Fische, Fleisch von der Härte der Stiefelsohlen, und Früchte und Eier als einzige Delicatesse, genossen haben; wir wissen nun, wie es bei den „Wilden“ außer Europa aussieht! ||
Der englische Steamer „Greatham Hall“, ein großer, schwerer Schraubendampfer, den wir schon seit Beginn der letzten Februar-Woche in Arrecife erwartet hatten, erschien daselbst erst am Sonnabend, 2 März, Mittags. Noch am selben Abend gingen wir mit ihm in See. Sonntag sehr unruhige Fahrt. Montag, 4. März, erblickten wir Morgens zum ersten Male die Küste des afrikanischen Festlandes, und gingen gegen Mittag vor Mogador vor Anker. Ein glücklicher Zufall wollte, daß der heftige Südwestwind in den folgenden Tagen sich zu einem wüthenden Orkan steigerte, so daß unser Dampfer gezwungen war, schleunigst den Hafen verlassen, und 6 Tage lang auf hoher See zu kreuzen. Dadurch erhielten wir willkommene Gelegenheit, das höchst interessante Mogador, die bedeutendste Hafen- und Handelsstadt an der ganzen Westküste Marokkos, gründlich kennen zu lernen. Die Bevölkerung derselben ist zu 1/3 aus echten berberischen Arabern, zu 1/3 aus maurischen Juden und zu 1/3 aus verschiedenen Nationalitäten aller Farben – vom tiefen Rabenschwarz des Timbuktu-Negers bis zum hellen Blond des Engländers – in der buntesten Mischung zusammengesetzt.
Die jüdische Stadt ist von der mohammedanischen und von der christlichen vollständig verschieden; alle drei übrigens in Bauart und architektonischem Schmuck höchst eigenthümlich. Sitten und Gebräuche dieser buntgemischten Bevölkerung gaben uns unerschöpflichen Unterhaltungsstoff und versetzten uns oft ganz in die orientalischen Mährchen der „tausendundeinen Nacht“, deren bunte und phantastische Figuren wir hier leibhaftig vor uns sahen. Die Araber haben mir übrigens ausnehmend gefallen, und ich begreife jetzt, warum mein verstorbener Freund Barth so sehr für den Mohammedanismus eingenommen war. || Erst am Montag, 11 März, hatte sich der heftige Sturm so weit gelegt, daß unser Steamer sich wieder der Küste nähern und seine Ladung im Hafen einnehmen konnte, und daß wir am Abend desselben Tags noch weiter fahren konnten.
Miklucho und Fol hatten uns mehrere Tage vorher verlassen, um eine Excursion nach Marocco zu machen. Auch Dr. Greeff und ich waren in große Versuchung gekommen, an dieser Excursion Theil zu nehmen. Doch kostete dieselbe zu viel Zeit und Geld, und die in Mogador lebenden Engländer schilderten uns dieselbe als zu b wenig lohnend, als daß wir uns dazu entschlossen hätten. Statt dessen machten wir von Mogador aus auf Maulthieren und unter Begleitung eines Soldaten und mehrerer Führer, zwei außerordentlich interessante Excursionen in die weitere Umgebung von Mogador; die eine nach Südosten, in hohes Hügelland mit prachtvoller Vegetation und einem reizenden Flußthale, mit sehr schöner Aussicht auf das Hochgebirge des Innern; die andere, nach Norden, in flachwelliges, höchst wüstes und ödes sandiges Hügelland, welches uns einen vollständigen Begriff von der Sahara gab. – Dienstag 11. März Morgens waren wir vor dem malerischen Stations-Ort Saphi. Doch gingen die Wogen der Brandung noch so hoch, daß die Boote nicht landen konnten, und der Steamer, ohne die bereit liegende Ladung einnehmen zu können, weiter fahren mußte. Mittwoch 12. waren wir Morgens in Mazagan, wo der Dampfer den ganzen Tag liegen blieb. Wir benutzten diese Zeit zu einem höchst interessanten Ritt in das Innere des sehr fruchtbaren, hügeligen Küstenlandes, wobei wir in das Zeltdorf einer Beduinen-Horde kamen, auch zahlreichen Skorpione, Eidechsen und Schlangen sammelten. An Teichen sahen wir große Heerden des Silberreihers. Die frischgrüne Frühlingsvegetation, mit Unmassen von herrlichster blauer Iris, weißen Asphodelen, gelben Cytiras und rothen Gladiolen war ganz prachtvoll. || Donnerstag 14. März legten wir vor Casa blanca an, konnten jedoch nicht an Land gehen, da wir bald nach Tanger weiter fuhren. Freitag 15. März Morgens 6 Uhr passirten wir Cap Spartel und gingen bald darauf vor Tanger vor Anker. Auch diese maurische Hafenstadt ist sehr interessant und malerisch, obwohl schon der europäische und mediterrane Charakter ihr Viel von dem Fremdartigen der vorher besuchten Orte nimmt. Die Frühlings Vegetation ist hier prachtvoll. Samstag 16. machten wir zu Maulthier eine Excursion nach Cap Spartel, wobei Dr. Greeff in den Sand, ich in das Wasser geworfen wurden, als ich mitleidig meiner Bestie von Maulthier in der glühenden Mittagshitze zu saufen gab.
c Der Blick von der Höhe der felsigen Küste über die Meerenge ist sehr schön, und umfaßte 2 Welttheile und 2 Oceane gleichzeitig. – Sonntag 17. März Mittags 12 Uhr verließen wird den afrikanischen Boden und landeten um 3 Uhr hier in Gibraltar. Heute haben wir den höchst großartigen und interessanten Felsen mit seinen colossalen Befestigungen besucht. Heute und gestern fanden in unserem Hôtel sehr lebhafte Debatten über Darwins Theorie statt, wobei mein eifrigster Gegner ein in der ganzen Welt umhergereister amerikanischer Methodisten-Prediger, mein wärmster Vertheidiger ein australischer Farmer ist. Wir werden nun von Hier übermorgen nach Granada, dann nach Madrid gehen, wo wir etwa die erste Aprilwoche zu bleiben gedenken. Am 15. April spätestens wollen wir in Paris sein, um noch 14 Tage der Weltausstellung zu schenken. In den letzten Apriltagen denke ich direct von Paris nach Jena zu reisen, wo ich Euch Alle in bestem Wohlsein wieder zu sehen hoffe. Es grüßt Euch bis dahin von Herzen Euer treuer Haeckel
N.B. e In Paris und Madrid werde ich nach poste-restante-Briefen fragen.
a gestr.: Wir; b gestr.: zehr; c gestr.: Sonntag 17; d eingef.: wir; e gestr.: Nach