Ernst Haeckel an Charlotte Haeckel, Würzburg, 5. Dezember 1852
Würzburg den a 5/12 52.
Meine liebe Mamma!
Der diesmalige Brief ist zunächst speciell an Dich gerichtet, als den geheimen Ober-Finanzrath des Häckelschen Hauses. Schon so bald wirst Du eine solche Rechnung mit schwarzem Rand wohl ebenso wenig, als ich b selbst, erwartet haben. Ich kann Dir versichern, daß, als ich am ersten meine Börse geöffnet hatte, um die verschiedenen Rechnungen, in specie die für den Mittagstisch und für die Wirthsleute, zu bezahlen, ich selbst nicht wenig erschrak, als sich der gesammte Rest, nach Abzug der summa summarum, nur auf 3½ fl belief. Indeß so oft ich auch die ganzen Geschichten nachrechnetec und durchsah; immer blieb es so, wie es war und ist; und mein einziger Trost über diese schreckliche Abzehrung meiner Kasse ist, daß ich auch grade in diesem Monat sehr viel extraordinäre Ausgaben, als z. B. die Reise hieher, die Einrichtung hieselbst, die Kollegiengelder u.s.w. nothwendig thun mußte. Wie sich dies alles zusammen gesummt hat, wirst du aus der beiliegenden Specialrechnung ersehen. Mitgenommen hatte ich 50 rℓ Gold und 50 rℓ Silber; das macht zusammen 187½ Gulden. Da nun die d Ausgaben 184 fl betragen, bleiben || mir nicht mehr, als 3½ Gulden, und bleibt weitere mir nichts übrig, als der feste Vorsatz, von nun an sparsamer zu wirthschaften, und mich in mancher Hinsicht mehr einzuschränken. So will ich z. B. Nachmittags keinen Kaffee mehr trinken; auch Abends nicht mehr aus gehen (denn wenn ich dann Bekannte treffe, komme ich nichtf unter 10–15 xr weg) sondern mir zu Haus von meiner Wirthin (o theure Wirthin!) eine Suppe machen lassen (obwohl diese es auch nicht unter 6–8 xr thut). Ferner könnte ich auch billiger zu Mittag essen, wenigstens für 18 xr, während es auf der Harmonie 21 kostet. Allerdings würde ich dann die Gesellschaft von Bertheau und la Valette entbehren; doch am Ende muß alles gehen.
Die Rechnung von der Frau Doctorin ist viel theurer ausgefallen, als ich erwartet hatte; sie behauptet zwar immer sehr naiv, sie beherberge ihre Miether durchaus nicht um ihres Vortheiles willen, sondern blos zu ihrem Vergnügen; indeß beklagen sich auch meine Hausgenossen über ihre große Theuerung. Das Bett, das ich mitgebracht hatte, hat sie für 30 xr. abgerechnet! Außerdem habe ich auch einen sehr wichtigen Grund, auszuziehen. Meine Stube ist nämlich hellgrün tapezirt, was mir gleich anfangs nicht wohl gefallen wollte. Nun habe ich || jetzt mit meinen beiden Hausburschen (2 Brüdern, nette, ältere Leute, aus Wiesbaden, von Franque) eine chemische Analyse (die sogenannte „Marsh’sche Arsenikprobe“ mit Wasserstoffgas) der Farbe angestellt, und gefunden, daß es Schweinfurter oder Mineral-Grün ist, in welchem großentheils Arsenik enthalten ist. Sprich doch darüber mit Quinke und frage ihn, ob es deßhalb allein nöthig wäre, auszuziehen; Du wirst Dich wohl erinnern, welchen Werth Basedow darauf legte; dann laß es mich bald wissen, denn ich müßte dann bis zum 12ten oder 15ten kündigen. Auch meinen meine Bekannten, ich wohnte sehr theuer; ich glaube nicht, daß ich viel verlieren würde, wenn ich umziehe; außerdem ist die Stube sehr kalt, und ich glaube, ich habe mich schon jetzt tüchtig darin erkältet, falls dies nicht von einem ziemlich frostigen Spaziergang am vorigen Sonntag herrührt. Ich habe nämlich einmal wieder Zahnschmerzen, Schnupfen, Husten und Halsweh, auch etwas Ziehen in den Gliedern gehabt; Jedoch ist es schon wieder fast ganz vorüber und ich tröste mich mit meinem lieben Bruder, der ja auch die rauhe Gebirgsluft Ziegenrücks hat fühlen müssen. Hoffentlich geht es ihm auch wieder besser. Möglich ist es auch, daß die Erkältung von dem || schauerlichen Regen-Nebel-Wind-Wetter mit seiner nassen Kälte, und von der wirklichen Londoner Nebelatmosphäre herrührt, in der wir hier seit 8 Tagen leben, und ing der ich doch meistens täglich 1 Stündchen mit la Valette spazieren gegangen bin. Diesem trüben Wetter schreibe ich auch zum großen Theile die düstre Stimmung zu, die ichh in dieser Woche wieder mal gar nicht habe los werden können. Es ist mir so traurig, daß ihr euch so einsam fühlt, und doch bin ich selbst noch viel einsamer und verlassener; ich habe hier ja keine Seele, der ich mich so recht mittheilen könnte. Wenn [ich] dann so an euch und mich denke, wird mir mein Hiersein oft recht schwer und ich denke: Wie schön hättest du nun den Winter in Berlin bei deinen Alten zubringen können; wäre es Sommer, dann ginge es noch viel eher; aber es ist ja doch einmal alles verfehlt, was ich anfange; nächsten Sommer möchte ich doch wieder, trotz deri schauerlichen Residenzstadt selbst, in Berlin sein; inzwischen freue ich mich herzlich auf Ostern und rechne die Zeit bis dahin aus. Nun ist ja schon bald ein Drittheil dieses schweren Winters überstanden, und dann: was wird das für eine herrliche Wiedersehnsfreude sein! Anfang März wird hier schon geschlossen und dann solls auch gleich fortgehen. Was ich künftigen Sommer anfange, weiß ich noch nicht; indeß mache ich mir darüber schon mehr Scrupelj, als vielleicht gut [ist.] ||
Daß Du Dich so über das Renomistenstück von mirk an Papas Geburtstag betrübt hast, liebe Mutter, ist mir recht leid; ich verspreche Dir aber, nie wieder eine solche Extravaganz, sollte sie auch noch so gut ablaufen, zu begehen. Das Weintrinken ist überhaupt ein überflüssiges Ding und man profitirt nie dabei, selbst wenn der Wein so billig ist, wie hier.
Nun wirst du wohl wieder betrübt sein, daß mein Geld schon alle ist; indeß bedenke nur, daß Du mir selbst eingeschärft hast, liebste Mamma, ich sollte nicht geizig sein, wozu ich große Anlage hätte, und ich sollte euch gleich offenl schreiben, wenn meine m Kasse geleert ist, auf daß ich keine Schulden machen lerne. So habe ich es denn auch gleich gethan, verspreche aber (neben der Bitte um baldigen Succurs) von nun an gewiß recht ordentlich und sparsam zu wirthschaften. Du kannst mir glauben, daß mir ein solcher Bettelbrief wie ich ihn jetzt zum Theil wenigstens im Sinn gehabt habe, recht schwer geworden ist; indeß das Geld ist einmal ausgegeben und ihr werdet aus der Rechnung sehen, wie wenig ich dafür kann, daß dies so rasch gegangen ist. Ich wollte wahrlich 10mal lieber, meine liebe Alte führte mir die Wirthschaft, als daß ich mich selbst um Einnahmen und Ausgaben zu bekümmern brauche.
Doch das sind die Freuden der Junggesellenwirthschaft! ||
Recht gefreut habe ich mich, daß ihr meine Freunde Abends bei euch gehabt habt. Hatte denn Max Henkel wirklich vorher Besuch bei euch gemacht? Bei wem ist er denn so quasi in Pension? Und wo ist sein Vater hingezogen, oder ist er noch in Merseburg? Du schreibst mir, Du hättest sie mit Baumkuchen von Papas Geburtstag tractirt; der, den ihr mir geschickt habt, existirt auch immer noch, trotzdem daß ich ihn mir fast täglich trefflich schmecken lasse. Ich denke dann immer recht sehnlich an meine lieben Alten, und wie viel besser es mir noch schmecken würde, wenn ich ihn mit ihnen verzehren könnte. Doch die Zeit wird hoffentlich auch baldn wieder kommen! –
Wie geht es denn Großpapa und Tante Bertha? Grüße sie recht schön von mir und sage ihnen, daß ich neulich Abend wieder von ein paar Studenten als Sachse an der Sprache erkannt worden bin. Es waren dies Danziger, die auch Meyer kannten. Die Ziegenrücker grüße gleichfalls herzlich, und sage ihnen, daß sie ihren armen Bruder in ihrem Glück nicht ganz vergessen sollten.
Endlich laß dich selbst, meine liebe Alte, noch herzlich küssen und umarmen von deinem alten Ernst – ||
[Beilage]
Gulden
Transport 134
Papas Geburtstagsfeier 3
Kaffee Nachmittags 2
Mittagsessen auf der Harmonie
jedesmal 21 Kreuzer 11
Abendessen außerhalb,
Spaziergänge und andre
Kleinigkeiten, chemische
Reagentien u.s.w. 9
Hausrechnung 25
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Summa summarum184 fl
Specialia der Hausrechnung:
Kaffee früh, jedesmal 7 xr zusammen 4 fl
4½ Pf Öhl 1 fl
Holz 9 fl
Miethe 7 fl
Außerdem Suppe Abends, Obst
Groschensbrödchen, Wichse,
Talglichte, Postporto
u.s.w. u.s.w.
Mitgenommen hatte ich 187½ fl
Bleiben mir noch 3½ fl
O gerum, o gerum,
quae permutatio rerum!!! ||
Gulden
Herreise (mit 24 Pf Überfracht
und Aufenthalt in Halle) – 23½
Transport für die Kisten – 9½
Immatriculation – 5
Collegien
Koelliker – 20
Mueller – 8
Leydig– 8
Schenk (Cryptogamen) – 5
– (privatissimum) – 12
Secirübungen– 11
Bücher:
Hollsteins Lehrbuch d. Anatomie 7¾
Köllikers Gewebelehre 6⅓
1 Secirkutte. – 4
1 Streichriemen und 1 Schleifstein 1⅔
13 Freimarken – 2
Lampenglocke – ¾
Uhrmacher (für 1 zersprengte Feder) 1⅔
Wäscherin 2⅓
1 Mütze – ¾
Einband obiger Bücher 1½
Porto für 1 Paket nach Halle ¾
3 Notizbücher fürs Kolleg, 1
Federn, Tinte, rothe Tinte 1½
Kleinigkeiten ⅔
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Summa 134
a gestr.: 4; b gestr.: ich; c korr. aus: nachrecht; d gestr.: Rechnung; e eingef.: weiter; f eingef.: nicht; g gestr.: ich; eingef.: in; h korr. aus: mich; i korr. aus: des; j korr. aus: Sgrupel; k gestr.: ,; l eingef.: offen; m gestr.: G; n gestr.: auch; eingef.: bald