Richthofen, Ferdinand Freiherr von

Ferdinand von Richthofen an Ernst Haeckel, Berlin, 27. November 1855

Berlin den 27t. Nvbr 1855.

Mein lieber Ernst!

Wenn du sähest, in welcher Lage ich Dir diesen Brief schreibe, so würdest Du mich wahrscheinlich nicht allzu sehr beneiden und Dich in Deinem Würzburger Klinikum noch um einige Procente glücklicher schätzen, als Du es ohnedies thun magst. Ich sitze in der Wachtstube meiner Kaserne, der ich fast in jeder Woche zwei Tage schenken muß. Meine Aufgabe ist, die mir untergebenen Mannschaften (bestehend in 3 Musketieren) in Ordnung zu halten, alle Civilpersonen, die sich blicken lassen, sogleich freundschaftlichst herauszubefördern und Abends von 9 Uhr an das Amt des Pförtners zu spielen. Du siehst, daß diese Stellung, die ich natürlich mit der gehörigen Amtsmiene bekleide, eine in hohem Grade bildende und fördernde ist. Die Einrichtung meines einladenden Salons besteht aus einer Pritsche zum Schlafen für mich, einer größeren für meine Mannschaften, einem Ofen, einer Uhr, einem Tisch und a einer Bank, welche Gegenstände ich nebst Schlüsseln und einem alten vergelbten Wachtmantel, jedesmal richtig und unbeschädigt in Empfang zu nehmen habe. Nebenbei würdest du noch einige Bücher bemerken; denn die Hauptroutine bei meinem Amt besteht darin, die 24 Stunden möglichst nützlich und angenehm zu verbringen, ohne eine der heiligen Pflichten zu vernachläßigen, da das kleinste Versehen drei Tage Mittelarrest kostet.

Daß ich an Dich schreibe und sogar die schönen Wachtstunden dazu benutze, wird Dich gewiß || um so mehr in Erstaunen setzen, als Du seit Deiner Abreise von Berlin mir noch nicht Deine Ankunft in Würzburg angezeigt hast. Da ich jedoch erfahren habe, daß Du nicht allein glücklich und wohlbehalten dort angelangt bist, sondern seitdem sogar schon einen kleinen Spaziergang über die Gletscher nach Venedig gemacht hast, so darf ich hoffen, daß Dich dieser Brief eines alten Freundes treffen und aus Deiner sonst so beredten Feder einige Worte hervorlocken wird.

Deine Reise hat mich sehr gefreut und ich bin egoistisch genug, mich ganz besonders darüber zu freuen, daß mein Reiseplan Dich befriedigt zu haben scheint. Den Anfang Deines Berichtes habe ich mit großem Interesse gelesen. Die Salzburger Alpen gehörten auch bei mir zu den ersten Alpen-Gegenden, die ich kennen lernte. Ich kann Dir daher Deine Eindrücke ganz nachfühlen. Doch erhielt ich die ersten Eindrücke der herrlichen Landschaften 1848 als fünfzehnjähriger, unerfahrener, kindischer Primaner, Du in Deinen schönsten Jünglingsjahren, reicher an Erfahrungen, studirt und mit reicher Phantasie. Ich wurde damals überwältigt von all dem Großartigen und unendlich Schönen, was sich mir zum ersten Mal in meinem Leben in solcher Fülle darbot – du konntest die Eindrücke, die ein so tief empfindendes Gemüth wie das Deinige, erhalten muß, mit dem Verständniß begleiten, was mir gänzlich abging. Ich habe seit jener ersten Reise die Salzburger Alpen noch einmal gesehen. Daher habe ich alle Scenen, die Du im ersten Theil Deiner Reise vorführst, noch lebhaft im Gedächtniß. Hallstadt mit seinem herrlichen See rufe ich b mir, obwol || ich es sieben Jahre nicht gesehen habe, am liebsten ins Gedächtniß zurück. Ich hatte noch nie einen See gesehen und fuhr in der Nacht bei sternklarem Himmel über die dunkle Fläche nach Hallstadtc. Nie werde ich dieses Bild vergessen. Ich freue mich sehr auf den weitern Verlauf Deiner Erzählung. – Zu Deinen fleißigen medicinischen Studien glaube ich Dir von ganzem Herzen gratuliren zu dürfen; sie werden Dir gewiss sehr zu Statten kommen. Ich fühle mehr und mehr, wie sie mir fehlen; ich könnte mit medicinischen Kenntnissen bewaffnet, mit ganz andern Blicken in die Zukunft sehen. Doch es ist vergebens, darüber zu klagen und ich hoffe, auch ohne sie noch nicht zum Droschkenkutscheramt meine Zuflucht nehmen zu müssen, welches ich immer als letztes refugium betrachte. Seitdem Du aus Berlin fort bist, habe ich ein recht militairisches, d. h. ein sehr faules Leben geführt. Den Sommer widmete ich meinem König und meinem Unterofficier. Als die großen Ferien herankamen, machte ich mit Tornister und Schießprügel eine Fußreise nach Müncheberg (7 Ml v. hier, auf d. Weg v. Frankft); dort mußte ich fünf Wochen lang exerciren und manövriren, todtschießen und mich todtschießen lassen; ich habe meinen Feind umringt, in die Flucht geschlagen und gefochten wie ein Löwe; einige Male wurde ich mit allen meinen Kameraden niedergemetzelt; doch kam ich, dank der belebenden Kraft des Kommando’s unsrer Herrn Officiere, wieder gesund und wohlbehalten nach Berlin zurück. || Hier bin ich so fleißig, als es mein Dienst und meine sonstigen Pflichten erlauben. Sehr vortheilhaft ist es, daß ich kein Kolleg mehr höre. Dadurch gewinne ich Zeit zum Arbeiten. Ich hatte mir für diesen Winter ein Thema zur Bearbeitung vorgenommen: die Fauna des Muschelkalks; ich arbeite darüber mit großem Vergnügen und wollte der Aufgabe alle meine Kräfte widmen. Doch wird sich vielleicht das Blatt bedeutend wenden, wie ich Dir dann erzählen will. – Zu Ostern Berlin zu verlassen, war schon seit langer Zeit mein Plan und die letztvergangenen Wochen sollten entscheiden, wohin ich mich wenden würde. Zuerst wählte ich Bonn, faßte aber dann den festen Entschluß, nach Wien zu gehen und in Oesterreich zu reisen, falls sich mir nicht andere verlockende Aussichten darbieten sollten. Eine solche hat sich in der That seit drei Tagen unerwarteter Weise dargeboten. Große Pläne, wenn sie noch unbestimmt sind, zu verrathen, ist Unrecht; denn wenn sie mißlingen, wird man ausgelacht. Doch mache ich gern meine Freunde damit bekannt und ich bin kühn genug um im vorliegenden Fall sehr viel Hoffnung auf das Gelingen des schönen Plans zu setzen:

Die portugiesische Regierung hat vor einigen Jahren einen Wiener Botaniker Velvitsch nach ihren Colonieen an der Küste von Angola im südwestl. Afrika geschickt. Derselbe reist mit Erfolg. Daher hat die portugies. Regierung bei Prof. Peters angefragt, ob er wol einen Geologen empfehlen könne, d den sie || nach jenem Lande schicken können. Alle weitern Bedingungen habe derselbe selbst zu stellen. Geh. Rath Weiss und Pr. Beyrich haben mich vorgeschlagen und ich soll mich entscheiden. Ich habe die Sache nach allen Seiten überlegt und über das Land schon Mehreres gelesen. Das Resultat war immer, daß ich ein Thor sein würde, wenn ich nicht alle Minen sprengte, um den Plan zur Ausführung zu bringen. Du kannst Dir denken, in welcher Aufregung ich mich im Anfang befunden habe. Jetzt denke ich natürlich schon viel ruhiger darüber; doch ist mein Plan gefaßt. Gebe Gott, daß er gelingen möge; ich hoffe, daß er durch meine Schuld nicht mißlingen wird. Ich lebe schon ganz in Angola, Congo, Benguela, Luango, Luanda, laconda etc. etc. und denke nur Neger, Antilopen, Urwälder und hohe unentdeckte Gebirge. Der Entschluß, auf Jahre allein in eine portugiesische Verbrechercolonie zu gehen, wo nur 2000 (nicht deutsch sprechende) Weiße sind, wo weite sumpfige Strecken unter entsetzlicher Hitze furchtbare Fieberluft ausdünsten – dieser Entschluß ist in der That nicht leicht. Doch es fehlt mir weder an Lust noch an Muth und alle Beschwerden werden weit aufgewogen werden von der Befriedigung, für meine Wissenschaft, der ich lebe, Etwas zu thun. Geh. R. Weiss bin ich zu überaus großem Danke verpflichtet. Er hat sich mir als ein so theilnehmender und treuer Rathgeber bewährt, daß ich ihm nie genug dafür danken kann und nun hat er durch diese neue mächtige || Einwirkung auf mein ganzes zukünftiges Schicksal sich in mir ein ewiges Andenken gesichert. Möchte ich nur des Vertrauens, daß er gegen mich bewiesen hat, mich würdig zeigen. – In kurzer Zeit wird oder muß Alles entschieden sein. Sollte der schöne Plan zu Wasser werden, so sehen wir uns nur noch wenige Tage, da ich dann zu Ostern nach Wien gehe. Doch hoffe ich, daß Du mir für diesen Fall meine Bitte nicht abschlagen wirst, die Osterferien mit mir auf dem Gut meiner Eltern zuzubringen; denn wer weiß, wann uns nach unsrer nächsten Trennung eine Stunde des Wiedersehens schlägt.

Nun weißt Du genug von mir und ich will dir daher noch Etwas über Deine übrigen Berliner Freunde mittheilen. Doch werde ich Dir da wol wenig Neues mittheilen können. Von Hayn’s, Lachmann und Claparède e brauche ich Dir Nichts zu berichten, da Du ihre Schicksale kennst. Dr. Weinland ist in Amerika. Agassiz an der Universität Cambridge bei Boston bearbeitet die Fauna von Nord-Amerika und wandte sich wegen eines Mitarbeiters an seinen Schwager Braun, der ihm Weinland schickte. Vor 4 Wochen reiste er voll Hoffnung hier ab. Paalzow ist ein sehr gesuchter Lehrer und derselbe fleißige Arbeiter wie bisher. Mit ihm, Claparède und einem f Dr. Jochmann, dessen Bekanntschaft Du hier machen wirst, gehe ich am Meisten um. Wir haben unsere || regelmäßigen Lese-Abende. Baeyer ist Soldat wie ich. Der Dienst ist seiner Gesundheit wenig zuträglich. Er studirt viel Mathematik. Mit dem Verein sah es im Sommer sehr faul aus. Jetzt rafft er sich. Doch besteht der Zuwachs leider fast nur aus Söhnen Israëls, die natürlich mit ihren klugen Reden das große Wort führen wollen. Chamisso hat mit Glück sein Staatsexamen angefangen; Du wirst ihn als praktischen Arzt begrüßen können. So kleidet sich Alles in Amt und Würden und Einer nach dem Andern bekommt sein Abschiedsgeleit zur Eisenbahn. Nur ich habe mich bisher mit dem g „in die Zukunft blicken“ begnügt. Doch hoffentlich wird die Wahl: Afrika oder Europa? bald entschieden sein.

Auf baldige Antwort hofft

Dein treuer Freund

Ferdinand v Richthoffen

a gestr. einig; b gestr.: mir; c eingef.: nach Hallstadt; d gestr.: der er; e gestr.: weißt du; f gestr.: gew; g gestr.: bl

 

Letter metadata

Empfänger
Datierung
27.11.1855
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 43822
ID
43822