Ernst Haeckel an Albert Carl Gotthilf Günther, Jena, 3. Oktober 1893
Jena
3. October 1893.
Hochverehrter Freund u. College!
Als ich vor einigen Wochen von meiner Ferien Reise (in die Kärnthner Alpen) nach Jena zurückgekehrt war, fand ich hier Ihre beiden lieben Briefe vor, sowie die freundlichst übersandten, mir sehr werthvollen Amphioxus-Arten, Peripatus etc. Herzlichen Dank für Alles! Ich würde Ihnen denselben sofort ausgedrückt haben, wenn ich nicht inzwischen das Vergnügen gehabt hätte, vor Gericht zu stehen, angeklagt von meinem „lieben Schüler“ Prof. Hamann, der „Beleidigung“. || Object: Die Noten 5 u. 14 im „Monismus“! Urtheil: Beide Gegner der Beleidigung schuldig, Haeckel 200 Mk, Hamann 30 Mk!
Die merkwürdige Verhandlung (am 21. September) ergab, daß Herr Hamann sich doppelt „verkauft“ hatte, einmal den Jesuiten, dann dem Preussischen Cultur-Minister „System Zedlitz“ (Vergl. Berliner Tageblatt Nr. 359 u. 486).
– Der plötzliche Tod von Brook hat mir sehr leid gethan; Sie werden Viel an ihm verloren haben. Seine Madreporen habe ich seiner Zeit richtig erhalten, mit schönstem Dank!
– Kükenthal wird in 14 Tagen seine einjährige Molukken-Reise antreten; wahrscheinlich bleibt er größtentheils auf Ternate oder Halmahera. || Die Bedingungen, unter denen ihm die Senkenberg Gesellschaft das Rüppell-Stipendium (12,000 Mk) verliehen hat, sind sehr liberal und angenehm. –
Von Semon’s Reise erscheint demnächst (im November) das I.Heft (Ontogenie von Ceratodus); das Material ist herrlich.
– Gestern besuchte uns John Murray mit Frau; wir waren sehr vergnügt „auf dem Forst“!
Hoffentlich besuchen Sie uns auch bald einmal!
Mit herzlichen Grüßen – auch an Ihre liebe Frau und die Freunde im British Museum. –
Ihr ergebener
Ernst Haeckel
P.S. Ihrem Sohne meine beste Gratulation zur Limnocuida-Abhandlung!