Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Arnold Dodel-Port, Jena, 3. Januar 1888

Jena 3. Januar 1888.

Hochgeehrter Herr College!

Auf Ihre vertrauliche Anfrage, betreffend die Besetzung eines ordentlichen Lehrstuhls für Zoologie an der Universität Zürich, beehre ich mich nach bester Überzeugung hiermit Folgendes zu erwidern.

Unter allen in Frage kommenden Candidaten halte ich für den in jeder Beziehung geeignetsten Dr. Arnold Lang, welcher seit drei Semestern hierselbst die neu gegründete außerordentliche „Ritter-Professur für Phylogenie“ bekleidet. Derselbe ist geborener Schweizer (aus dem Canton Aargau) und jetzt ungefähr 34 Jahre alt. Nachdem er mehrere Jahre (1873–75?) hierselbst studirt, bei mir speciell Zoologie getrieben, und promovirt hatte, ging er nach Neapel, wo er an der Zoologischen Station meines früheren Schülers, Professor Dohrn, 8 Jahre als erster Assistent thätig war. || Im Herbst 1885 kehrte er nach Jena zurück, um sich hier für Zoologie zu habilitiren, und wurde schon ein halbes Jahr später zum Prof. extraordinarius ernannt. Ich war mit seinem Verhalten und seinen Leistungen in jeder Beziehung so sehr zufrieden, daß ich ihm die Hälfte meiner Vorlesungen abgetreten habe. Im Sommer liest er vergleichende Entwickelungsgeschichte, im Winter Naturgeschichte der Wirbellosen (während ich Wirbelthiere lese). Die speciellen zoologischen Untersuchungen der Geübteren im Laboratorium leitet er so vorzüglich, daß ich ihm diese Leitung früher zur Hälfte, im letzten Semester ganz abgetreten habe. Auf Grund seiner reichen Erfahrungen in Neapel ist er ein ungemein tüchtiger praktischer Lehrer. ||

Hinsichtlich seines persönlichen ebenso wie seines wissenschaftlichen Characters erfreut sich Prof. Lang hierselbst der allgemeinsten Achtung. Er verbindet eine tactvolle, durch jahrelangen Umgang mit vielen fremden Gelehrten in Neapel erworbene Haltung, mit einem sehr freundlichen und durchaus wahrhaften Benehmen. Unter seinen litterarischen Arbeiten verdient seine große Monographie der Polycladen Turbellarien a (herausgegeben von der Zoologischen Station in Neapel) das höchste Lob. Gegenwärtig ist er mit der Neubearbeitung (der IX. Aufl.) des bekannten Lehrbuchs der Zoologie von Oscar Schmidt beschäftigt; was ich davon kenne, ist sehr geschickt, klar und lehrhaft, dem heutigen Standpunkte völlig entsprechend, durchgearbeitet. Auch der mündliche Lehrvortrag, der in den ersten Semestern etwas schwerfällig war, wird jetzt sehr gerühmt. ||

Was mein Verhältniß zu Prof. Lang betrifft, so bin ich mit seinen Leistungen in jeder Beziehung so zufrieden, daß ich ihnb nur sehr ungern verliere. Indessen wird sicher im Laufe der nächsten Jahre bei jeder Besetzung eines vacanten zoologischen Lehrstuhls sein Name in Vorschlag kommen (wie dies kürzlich in Gießen der Fall war); und da das Gehalt der Ritter-Professur nicht erhöht werden kann, und naturgemäß Prof. Lang den vollberechtigten Anspruch auf eine selbständige ordentliche Professur besitzt, kann sein Weggang von hier nur eine Frage der Zeit sein. Den anderen, von Ihnen als eventuellen Candidaten erwähnten Docenten ist Prof. Lang in jeglicher Hinsicht so sehr überlegen, daß ich mich jedes Urtheils über die ersteren enthalten kann. – Da die vorstehende Beurtheilung durchaus meine Überzeugung wiedergiebt, ermächtige ich Sie, dieselben auch der Facultät mitzutheilen. Hochachtungsvoll Ihr ergebener

Ernst Haeckel

P.S. Prof. Lang ist seit vorigem Frühjahr mit einer Schweizerin verheirathet. – Als tüchtiger Turner (Vorstand des hiesigen Docenten-Turn-Vereins) ist er von kräftiger Gesundheit. –c

a gestr.: (in den; b irrtüml.: ihen; c weiter am linken Rand von S.4, um 90° gedreht: P.S. … Gesundheit. –

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
03.01.1888
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
Zentralbibliothek Zürich, Handschriftenabteilung
Signatur
Ms. Z VIII 417.4
ID
42978