Euthalie Scheins an Ernst Haeckel, Groß Lichterfelde, 8. Februar 1909
Gr. Lichterfelde, Werderstr. 10.
den 8/2 09.
Sehr geehrter Meister.
Nicht vergass ich Ihrer, immer wieder hörte, sprach ich ab und zu von Ihnen, dachte Ihrer, fragte nach Ihrem Ergehen. So unlängst noch, als ich von Ihrem endlichen Ruhen vernahm. Möge es Ihnen leicht, und nicht zu langsam fliessen! und Ihren arbeitsmüden Geist und Körper sanft nur betten zu dem letzten Schlaf! Bessern liebern Wunsch weiss ich nicht für Sie. Mir geht in letzter Zeit „das sogenannte Glück“ nach, es hat mein Leben vorderhand vom Sorgenspuk befreit – meine Kinder, meine grossen, starken Kinder leben noch || froh und sorglos, wir sehen uns ab und zu wieder, da wir drei getrennt leben, sie ihrem Studium, ich in Stellung bei einem Schottländer Kenneth Romanes, der Ihren großen lieben Meister Darwin wolgekannt.
Einliegende Ansicht unsres Berliner Vorortes nehmen Sie bitte gütig an, er ist trotz der modernen Bebauung ein hübscher, ruhiger ländlicher Ort geblieben, weit genug vom Grosstadtlärm, den ich noch immer nicht ertrage.
Sind Sie körperlich noch in guter Verfassung? Auch von dem „Avancement“ zur „Exellenz“ erfuhr ich, wagte aber keinen Glückwunsch, da ich nicht recht wusste, welche Ehre esa Ihrer ureigensten noch hinzufügen habe. ||
So leben Sie wol, geehrter Meister. Ihrer Güte bleibt eingedenk.
Fr. Euthalie Scheins. ||
[Beilagen: 2 Ansichtspostkarten mit Gedicht:]
„Lag Dir daran in Schriften, die Du einst mir überlassen, als Mensch an einer Stelle immer wieder mich zu fassen, wo er dem Tiere selbst noch untertan sich fühlet, wo sich in ein Gehirn die Wahrheit tief und bitter wühlet, er hab vor ihm nicht mehr voraus, als dass es mitten in dem Stolzgefühl ein Höheres sich zu wissen, er plötzlich wieder an seines Aufstiegs erste Stuf’ geschmissen. Lag Dir daran? So habe Dank, dass ich seitdem es nie vergessen, wo meines Geistes Ursprungszell’ gesessen, und wie er jederzeit in seiner Edelstliebe erfahren musst, die tierischen Knospentriebe. – und liess mich dies Erkennen eines nur entdecken, wie nie in meines Nächsten Seel’ die Bestie zu wecken, so wirkt Dein Wort wie eines Meteores || Niedergehen, das glutkalte & dennoch klar eindringlich redet, von Weltzerfallen, Weltentstehen!“
a gestr.: Ihr; eingef.: es