Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Wilhelm Bölsche, Jena, 18. März 1917

Jena 18.3.1917.

Lieber Freund!

Deine herzliche Teilnahme an meinem 60jährigen Doktorjubilaeum, 7. März, hat mich sehr erfreut, wenn sie auch von den konfusen Gelehrten des Berliner Tageblattes in schauriger Weise verballhornt wurde (Urzeugung der Infusorien u.s.w.). Herzlichsten Dank für Deine treue Gesinnung! Ich habe diesen Gedenktag sehr still verlebt, in Betrachtungen über die gewaltigen Veränderungen, welche die Wissenschaft – und die ganze menschliche Kultur – in diesen 60 Jahren erlitten hat. Was würden die großen Meister Johannes Müller und der Mikrologe Ehrenberg (– der mich damals als Dekan, in lateinischer Sprache! mit dem medizinischen Doktorhute krönte! –) für Augen machen, wenn sie heute die großartige Revolution der ganzen Biologie, und auch die erstaunlichen Fortschritte in der speziellen Systematik (Radiolarien, Medusen, Systematische Phylogenie u.s.w. sehen könnten und mit dem Zustande vor Darwin (1857) vergleichen. || Sehr gerührt hat mich die unerwartete herzliche Teilnahme weitester Kreise an meinem „Diamantenen Jubiläum“, namentlich der warme Dank vieler älterer denkender Männer und Frauen dafür, daß ihnen meine monistischen Schriften nach langem Zweifeln und Grübeln endlich eine klare und sichere Weltanschauung gegeben haben, und daß sie sich im „Diesseits“ glücklich fühlen.

Über 300 Sendungen aus allen Teilen des Deutschen Reiches und aus dem Felde – viele auch aus Österreich und der Schweiz – sind eingelaufen; ich werde noch ein paar Wochen zu tun haben, um alle Dankschulden abzutragen.

Mit meiner Gesundheit geht es jetzt noch leidlich gut; doch nehmen die Arbeitskräfte sehr ab. Glücklicherweise kann ich noch sehen und malen! ||

Hoffentlich geht es Dir und Deiner lieben Familie – trotz der mangelhaften Ernährung und Weltkriegs-Leiden – recht gut; Ihr werdet nun wohl bald vom Müggelsee wieder nach Eurem Sommer-Palais in Schreiberhau übersiedeln.

Deine Reise in’s Kriegsgebiet von Polen und Russland, namentlich der Besuch bei der Wisentherde im Urwalde von Bialowies, ist gewiß sehr interessant gewesen.

Mit herzlichsten Grüßen an Dich und Deine Familie

treulichst Dein alter

Ernst Haeckel.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
18.03.1917
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
Biblioteka Uniwersytecka we Wroclawiu
Signatur
Handschriftenabteilung, Böl.Hae.178
ID
42395