Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Wilhelm Bölsche, Iseltwalt, 13. September 1909

Hôtel & Pension du Lac

Iseltwald. am Brienzersee

Montag. 13.9.1909.

Lieber Freund!

Meine Absicht, Dir in der zweiten September-Hälfte den längst gehofften Besuch in Schreiberhau abzustatten, ist leider vereitelt wurden, und zwar durch den schlechten Gesundheits-Zustand, der mir auch die Teilnahme an der großen Darwin-Feier in Cambridge verbot, und der durch die gehässigen, 4 Monate fortgesetzten Angriffe meines brutalen Amtsnachfolgers Plate hervorgerufen wurde; Schlaflosigkeit und zunehmendes Herzleiden machten eine weitere Reise mit erfrischenden großen Natur-Eindrücken höchst wünschenswert, zur Hebung der Stimmung. || Der Schluß-Akt meiner irdischen Pilgerfahrt – für die Du Dich als mein treuer Biograph so warm interessierst, – hat leider durch den schlimmen Konflikt mit Plate einen sehr tragischen Charakter angenommen; die gräulichen und zum Teil unglaublichen Einzelheiten will ich Dir später mündlich mitteilen. Fräulein Maria Holgers, die den Sommer mehrere Wochen in Jena war und mir bei den schriftlichen Verhandlungen als Sekretärin wertvolle Hülfe leistete, kann Dir darüber genaue Mitteilungen machen. Das Endergebnis ist völlige Resignation, besonders auch in Hinsicht auf das Phyletische Museum, in dem Plate Alles allein machen will und mir auch die 3 vorbehaltenen Räume für das Archiv durchaus streitig machen wollte. Mein argloses Vertrauen auf seinen Charakter ist schwer getäuscht worden! – || Der ganze widerwärtige Kampf, in welchem Universität und Regierung ausnahmslos auf meiner Seite stehen, ist um so bedauerlicher, als dadurch auch unsere gemeinsamen sachlichen Interessen (– ganz abgesehen von allem persönlichen Leid –) schwer geschädigt werden. Brass und Dennert, – und die anderen Stimmführer des edlen „Keplerbundes“ – haben nun in ihren persönlichen Angriffen gegen mich in Plate einen würdigen Bundesgenossen gefunden, obwohl dessen monistische und darwinistische Anschauungen ganz die meinigen sind. Da ich auch meine ganze zoolog. Bibliothek und Sammlung an die Universität Jena abgegeben habe, und da deren Direktion jetzt ganz in Plates Händen ist, muß ich die beabsichtigte Arbeit im Phyletischen Museum aufgeben u. werde mich in die Stille meiner Villa Medusa zurückziehen. Den kurzen Rest meines Daseins will ich vor Allem in Ruhe verleben, ich bin sehr „kampfesmüde“! – || Die einzige Arbeit, die ich zunächst noch vorhabe, ist die neue (VI.) Auflage der „Anthropogenie“; sie wird wohl ein Jahr in Anspruch nehmen. Im ganzen will ich nichts Wesentliches ändern, nur im Einzelnen Vieles verbessern. Für jeden Wink, den Du mir in dieser Hinsicht geben kannst, werde ich sehr dankbar sein. – Bleibt nachher noch ein Rest von Zeit und Arbeitskraft übrig, so will ich ihn auf meine Lebens-Erinnerungen und Auslese des umfangreichen (u. teilweise historisch interessanten) Briefwechsels verwenden. – Die 14 Tage meiner Erholungsreise in die Schweiz waren von schönem Wetter begünstigt und haben mich sehr erquickt. Luzern (mit Rigi Pilahn, Brienzer Rothorn) habe ich herrlich genossen. Am 18. will ich auf einige Tage in das Berner Oberland, am 24.9. in Jena zurück sein.

Mit herzlichsten Grüßen an Dich und Deine liebe Frau

Dein treuer alter

Ernst Haeckel.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
13.09.1909
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Mittel-Schreiberhau
Besitzende Institution
Biblioteka Uniwersytecka we Wroclawiu
Signatur
Handschriftenabteilung, Böl.Hae.141
ID
42272