Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Wilhelm Bölsche, Jena, 12. August 1905

Zoologisches Institut

Der Universität Jena.

Jena 12.8.05.

Lieber Freund Bölsche!

Deinen und Deiner l. Frau freundlichen Gruß aus dem Riesengebirge erwidere ich von Herzen. Inzwischen wird Dir Carl Hauptmann, dessen Besuch mich kürzlich sehr erfreute, mündlich meine Grüße ausgerichtet haben. Meine Pfingstkarte aus dem Böhmer Urwald (Eleonorenhain) wirst Du wohl erhalten haben. Leider ist mir diese schöne (und sehr interessante) 10tägige Pfingsttour schlecht bekommen. Beim mehrtägigen Klettern im Urwald und seinen Moossümpfen habe ich mir eine starke Erkältung, dazu auch eine Armverletzung zugezogen. || Nach der Rückkehr besuchte mich alsbald mein alter Jugendfreund (– seit 53 Jahren!) „Rheumatismus“) und machte abwechselnd Hand- und Fußgelenke für 6 Wochen unbrauchbar. Jetzt fange ich an mich langsam zu erholen und will in 6–8 Tagen nach Baden-Baden reisen zu einer gründlichen Kur. Vielleicht gelingt es, das alte baufällige Fahrzeug noch einmal für einige Jahre flott zu machen. Indessen ist mein Lebensmut sehr gesunken und ich habe begonnen, meine unendlichen Briefsachen, Bilder etc. zu ordnen, um das „Nirwana“ mit ruhigem Gewissen antreten zu können! ||

Nach eingehender Rücksprache mit meinem Sohn und Schwiegersohn, sowie meinem Neffen Heinrich H. in Stettin (den Du am 15.4. im Zool. G. kennen lerntest, und der mir sehr nahe steht) scheint es das Beste, daß die Herausgabe eines Teiles meiner kolossalen Correspondenz Dir anvertraut wird. Ich danke Dir nochmals herzlich, daß Du diesen Freundschaftsdienst übernehmen willst. Trotzdem die große Mehrzahl der an mich gerichteten Briefe in den Papierkorb gewandert ist, dürfte die Zahl der gesammelten doch Zehntausend beträchtlich übersteigen – darunter viele wichtige Documente von hervorragenden Zeitgenossen. || Besonderer Sorgfalt und Diskretion bedarf der Briefwechsel mit meiner unvergeßlichen liebsten Schülerin, von deren tief-tragischen Schicksal ich Dir und Heinrich im April in B. das Wichtigste mitgeteilt habe.

− Von den Berliner Vorträgen hatte ich gleich nach dem Erscheinen 3 Explr an Dich nach Friedrichshagen gesandt, für Dich, Wille und Baege. Hoffentlich hast Du sie erhalten? Die maaßlose Wut der Klerikalen und dualistischen Gegner über diese harmlose (– nichts Neue bietende! –) Schrift scheint zu beweisen, daß die Hiebe gesessen haben. Fritz Mauthner erklärt das freilich Alles für „Unsinn“!

Mit besten Wünschen für genußreichen Herbst im Gebirge

Dein treuer alter

Ernst Haeckel.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
12.08.1905
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Mittel-Schreiberhau
Besitzende Institution
Biblioteka Uniwersytecka we Wroclawiu
Signatur
Handschriftenabteilung, Böl.Hae.115
ID
42244