Theodor Wilhelm Engelmann an Ernst Haeckel, Leipzig, 5. Januar 1897

Leipzig 5 Januar 97

Lieber und verehrter Freund!

Es war sehr liebenswürdig von Dir, mir Dein Programm für die nächste Zeit mitzutheilen. Ich werde leider auch diesmal den so sehnlichst gehegten Wunsch Dich und mein liebes Jena wiederzusehen, wohl nicht in Erfüllung gehen sehen. Ein Tag wäre mir zu kurz und mehr würde ich jetzt nicht haben können, da ich schon Montag wieder nach Utrecht muß, um Sonntag hier noch Geburtstag meines, jetzt hier als || Buchhändlerlehrling thätigen zweiten Sohnes a feiern möchte u. vorher noch mancherlei Vormundtschaftliches, Geschäftliches u. Familiäres hier zu erledigen habe. Es thut mir u. meiner Frau herzlich leid, daß die Constellationen auch in Jena ja nicht günstig sind und wirb wünschen Deiner verehrten Frau von Herzen Besserung. Ich hoffe durch Deine Frau Tochter noch Näheres über Euer Ergehen zu hören. Daß Du auf einen Tag herüberkommst, ist wohl ausgeschlossen? Ich hätte Dir sogar noch gedankt für die Zusendung Deiner Phylogenie, in der ich wenigstens Einiges, dem immer mehr hinschwindenden Niveau || meiner zoologischen Kenntnisse noch Erreichbare zu studiren mich bemüht habe. Besonders haben mich Deine Betrachtungen über die Verwandtschaftsverhältnisse bei Protozoen u. Protophyten gefesselt, in denen wieder so viele glückliche Gedanken u. geniale Griffe stecken. Ich fürchte nur, daß die große geistige Leistung die in dieser Arbeit steckt, von Deinen Fachgenossen nicht nach Verdienst berücksichtigt werden wird, da es eben wesentlich „nur“ Gedanken sind, u. Du zudem die zoologischen Collegen nicht citirst, wo jeder doch so gern seinen Namen nach Gebühr hervorgehoben sehen möchte. Ich kann Dir nur sagen, daß ich vor Deiner || Arbeit die allerhöchste Ehrfurcht habe u. mit wahrer Freude u. Bewunderung darin alle die großen Eigenschaften in ungeschwächten Maaße wieder gefunden zu haben glaube, durch die Du die gesammte biologische Forschung so sehr belebt u. gefördert hast. Von dem Altern, über das Du klagst, ist in dieser Arbeit gewiß nichts zu spüren, u. nach menschlichem Ermessen dürfte es noch lange dauern, ehe Deine Freunde aufhören werden mit dem Gedanken an Dich zugleich den von Jugend und volle Kraft des Schaffens verbinden. – Viele herzliche Grüße soll ich Dir von Frau, Mutter u. Schwester sagen.

Erhalte Deine Freundschaft Deinem treu ergebenen

Th. W. Engelmann

a gestr.: ,; b eingef.: wir

Brief Metadaten

ID
4203
Gattung
Brief ohne Umschlag
Entstehungsort
Entstehungsland aktuell
Deutschland
Entstehungsland zeitgenössisch
Deutsches Reich
Datierung
05.01.1897
Sprache
Deutsch
Umfang Seiten
4
Umfang Blätter
2
Format
11,2 x 17,7 cm
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
EHA Jena, A 4203
Zitiervorlage
Engelmann, Theodor Wilhelm an Haeckel, Ernst; Leipzig; 05.01.1897; https://haeckel-briefwechsel-projekt.uni-jena.de/de/document/b_4203