Theodor Wilhelm Engelmann an Ernst Haeckel, Ilsenburg, 19. August 1887
Ilsenburg 19.8.87
Lieber Freund!
Sehr erfreuten uns heute Deine beiden Briefe u. sie würden es noch mehr gethan haben, wenn ihr Inhalt nicht einige dunkle Stellen aufwiese. Daß auch Du einer Achillesferse Opfer bringen mußt, will mir gar nicht einleuchten. Ich begreife, mit welcher Sehnsucht Du an die Berge denkst u. wünsche daß Gastrocnemius und Soleus bald wieder ungestraft Dich heben dürfen. Unter diesen Umständen konnten wir noch weniger, als leider ohnehin schon, an einen Besuch in Jena denken. Jener, der Firma W. E. gegenübera, zu der ich ja nur in platonischem Verhältniß stehe, hätten mir eine Störung Deiner literarischen Sklavenarbeit || schon zu vertreten gewagt. Nun aber auch Deine Häuslichkeit in so mannichfacher Weise bewegt ist, heben wir uns die Freude für später auf, wo dann hoffentlich auch nicht einmal von Reconvalesenz b bei Deiner verehrtesten Frau oder Dir Spuren übrig geblieben sein werden. – Wir haben hier auch nicht auf Rosen gelegen. Frau u. mehrere Kinder benutzten die Sommerfrische – sie war wohl zu frisch – recht unpassender Weise zu einigen Excursionen ins Gebiet der heftigeren Katarrhe. Eben erst sind sie davon zurückgekehrt und, meine Frau wenigstens, nicht ohne einige Neigung zur Wiederholung. In einigen Tagen gehen wir nach Mecklenburg, wo mein Schwiegervater auch eben erst von einer ziemlich heftigen Erkrankung sich erholt, was || bei 76 Jahren nicht mehr so schnell gehen will. Anfang September sind wir in Utrecht, wollten aber womöglich nach 8–14 Tage nach Ems oder an einen ähnlichen milden Ort um die letzten Reste des Katarrhs meiner Frau auszutilgen. Falls Du nicht nach Baden-Baden, sondern eben nach Wiesbaden gehen solltest – wozu ich Dir schon wegen Dr. Mezgers eigentlich sehr rathen möchte – ließe sich ein fröhliches Wiedersehen vielleicht noch ermöglichen. Wäre dazu keine Aussicht??
Nun muß ich aber mit dem Gratuliren anfangen. Zur Verlobung u. zur glücklich abgelaufenen Operation geschah es schon früher, mag aber gern wiederholt werden. Die 4te Auflage der Anthropogenie hat aber ihr Theil noch nicht gehabt. Ich glaube, wenigstens zu ahnen, was die Arbeit Dir bedeutet || hat u. freue mich sehr, sie nun bald in den Händen zu haben. Unsereiner, der der Morphologie nicht mehr folgen kann wie er möchte, kommt dann auf einmal wieder einen tüchtigen Schub vorwärts. Und trotz aller Warnungen der Philister sehe ich mir die Anthropogenie lieber durch Deine Augen als durch die astigmatischen, gegenüber und dabei alles indirekten Sehens baren Schielorgane Deiner Widersacher an. Auch Hensens „Plankton u. Häckel“ veranlassen mich noch nicht, den Verkehr mit Dir abzubrechen. Man sieht’s dem traurigen Produkt an, daß Du ihn ins Herz getroffen. Leider ist zu fürchten, daß die gute Sache auf lange hinaus verpfuscht sein wird, denn es wird schwer sein, sie diesen Händen zu entreißen. Schade um den schönen Fleiß u. das schöne Geld?
Mit den herzlichsten Grüßen u. besten Wünschen für Dich u. Dein Haus
in alter Gesinnung
Dein
T. H. Engelmann
a eingef.: gegenüber; b gestr.: noch