Jena 5 Juni 85
Lieber Freund!
Es ist recht schade, daß Du Deine Absicht nicht ausgeführt und uns zu Pfingsten a besucht hast. Du hättest mich und Stahl sehr erfreut. Goebel, der den Winter nach Ceylon geht, war auch hier, und hat mir sehr gut gefallen.
Wir haben zusammen einige hübsche Excursionen bei schönem Wetter gemacht. ||
Mir geht es im Ganzen gut. Leider ist meine Frau viel kränklich. Die Kinder entwickeln sich gut. Unser Haus macht uns viel Freude, und meine alte Pflanzen-Freundschaft findet nun in der Pflege des eigenen Gärtchens ganz neue Nahrung. Ich finde, daß die Pflanzen im Allgemeinen ( – etwa meine geliebten Lianen ausgenommen! – ) viel bessere Seelen haben, als die Menschen! Daher seid Ihr Botaniker auch viel bessere Geschöpfe als die verwünschten Zoologen!
Ich bin froh, daß ich mich ins Lager der unschuldigen Protistiker zurückgezogen habe und in dem Species-Kram der unendlichen Radiolarien-Formen (über 4000 Arten!) völlig aufgehe! ||
Meinen lieben alten Freund und Lehrer Gandtner ( – den ich sehr hoch schätze! – ) – N.B. er war auch Botaniker grüße herzlichst von mir; auch Deine und seine Frau!
– Über Deine üppige litterarische Productions-Kraft freue ich mich sehr; es freut mich, daß der alte Jenenser Geist in Dir trotz Capua-Bonn fortlebt! Treulichst
Dein alter grauer
Ernst Haeckel
a gestr.: hier