Jena 6. Sept 82
Lieber Freund!
Für Deine freundlichen Zeilen danke ich Dir herzlich und will nicht länger säumen, sie zu erwidern. Ich hätte Dir schon längst geschrieben, wenn nicht seit meiner Rückkehr aus Indien (am 19. April, also noch nicht ½ Jahr!) tausend dringende Arbeiten meine Zeit u. Correspondenz äußerst beschränkt hätten. Wie Du wohl aus den „Indischen Reisebriefen“ in der „Deutschen Rundschau“ schon wissen wirst, war mein viermonatlicher Aufenthalt auf Ceylon in jeder Beziehung vom Glück begünstigt u. ich habe dort einen Schatz von Bildern u. Erinnerungen gesammelt, der mir mindestens vier Jahre europäischen Lebens aufwiegt! ||
Ich habe dort auch oft Deiner gedacht, besonders im Genusse der herrlichen Vegetation, deren Pracht alle Beschreibung übertrifft. Ich bin überzeugt die höchsten Leistungen gesehen zu haben, die das Protoplasma ( – mit oder ohne Kern! – ) auf diesem elenden Planeten zu Stande bringt. Die Palmen, Bananen, Bambusen, Lianen etc. etc. erscheinen mir jetzt schon wie Märchenbilder! Ich habe 120 Aquarelle, über 200 Photographien und eine Masse Skizzen in Öl und Bleistift mitgebracht, die meiner landschaftlichen Liebhabereien für den Rest meines Lebens Stoff genug liefern; außerdem über 50 Kisten mit Sammlungen. ||
Hier hat sich inzwischen Viel verändert. Mein neues Institut ( – das ich hauptsächlich Deiner Energie verdanke! – ) steht im Rohbau fertig da, stolz und hehr in Snell’s Garten. Daneben wird jetzt das neue physikalische Institut gebaut. Gegenüber (neben Geuther) habe ich mir für 10,000 Mk ein Kartoffelfeld (von 56 Ruthen) gekauft, auf welchem mein eignes Wigwam (aus Ammerbacher Dreck!) sich erhebt!
Du siehst, daß ich die colossale Macht des Rückschlags an mir selbst demonstrire und als echter Ascidien-Sprosse meinen Ruderschwanz abwerfe, um mich mit dem Kopfe voran festzusetzen und Markrohr nebst Sinnes-Organen aufzugeben; sie taugen so nicht Viel! ||
Meiner Familie geht es gut. Meine Frau sowohl als die Kinder freuen sich sehr auf den eigenen Herd. Im nächsten Sommer ziehen wir ein. –
Dein Nachfolger macht sich in jeder Beziehung recht gut und rechtfertigt vollständig das hohe Lob, was Du ihm gespendet hast. Der Referir-Abend blüht (bald mit, bald ohne Müller!) und was wird dort Deiner oft gedacht! Seebecks geht es im Ganzen gut; sie feiern übermorgen ihre goldene Zeit; Alle Kinder sind da.
– Hertwig hat kürzlich seine Mutter verloren. – Deiner lieben Frau wünschen wir besten Erfolg der Luft Kur.
Mit besten Grüßen von Haus zu Haus
Dein alter
E. Haeckel