Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Max Vollert, Kurhaus Weissenstein bei Solothurn, 13. Juni 1909

Kurhaus Weissenstein bei Solothurn, Schweiz

Sonntag 13. 6. 1909.

Hochgeehrter Herr Staatsrat!

Da mein Amtsnachfolger, Herr Professor Plate, mir auch auf meiner Erholungsreise keine Ruhe läßt, sondern mich fortdauernd mit impertinenten Briefen – voll unglaublicher Beschuldigungen – belästigt, möchte ich Sie freundlichst bitten, alle weiteren Schritte in diesem bedauerlichen Conflikt bis zu meiner Rückkehr nach Jena (in der letzten Juni-Woche) zu vertagen. || Insbesondere möchte ich Sie – als oberste akademische Aufsichts-Behörde – bitten, nicht zu gestatten, daß Plate sich Schlüssel zum Phyletischen Archiv (den 3 mir vorbehaltenen Räumen) machen läßt (wie er vorhat) und in deren Inhalt herum kramt, den ich leider vor meiner Abreise, mit dringenden Geschäften überhäuft, nicht mehr in wünschenswerter Weise ordnen konnte.

Plate beschuldigt mich ferner, ich habe bei seiner Berufung mit ihm „falsches Spiel“ getrieben und ihm schweres Unrecht zugefügt! Was von dieser unglaublichen Anklage zu halten ist, ergeben die betreffenden Akten der Philos. Facultät und Se. Exzellenz von Eggeling, der von allen Tatsachen auf das Genaueste unterrichtet ist. || Jetzt teilt mir Plate mit, daß er bei Ihnen als Kurator – (und auch bei meinem Sohn und Schwiegersohn!) Protest gegen die Schenkungs Urkunde eingelegt habe, die wir am 4. Mai vor dem Amtsgericht zu Jena festgelegt haben. Sollte diesem Protest stattgegeben werden, (– was ich nicht glaube –) so würde natürlich die ganze Schenkung an die Universität hinfällig werden. Doch darüber Näheres mündlich (End Juni). – Plates Anklagen wegen der Bibliothek sind einfach lächerlich; sie erklären sich nur durch seine Unkenntnis der tatsächlichen Verhältnisse. – Die berechtigte Empörung über diese und andere Vexationen haben mein altes Herzleiden sehr verschlimmert; ich kann seit Monaten nicht mehr ruhig schlafen. Welche Undankbarkeit! || Seit 8 Tagen sitze ich hier oben auf dem Weißenstein in Nebel, Regen und Schnee. Das berühmte, oben abgebildete Panorama der Alpen habe ich noch nicht gesehen. Morgen reise ich nach Zürich und besuche Prof. Arnold Lang. Dann will ich noch einige Tage am Walensee bleiben und Ende der Woche bei meinem Sohn in München sein (Nymphenburger Str. 205). Am 25. oder 26. (– spätestens am 27. Juni) werde ich wieder in Jena sein.

Indem ich Ihnen, hochverehrter Herr Kurator, meinen herzlichen Dank für Ihre wohlwollende Unterstützung in meiner schwer bedrohten Lage wiederhole, bleibe ich in vorzüglicher Hochachtung

Ihr ergebenster

Ernst Haeckel.

(P. S. Antwort auf diese Mitteilung ist nicht nötig; eventuell nach München.)

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
13.06.1909
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
Universitätsarchiv Jena
Signatur
C 641a, Bl. 38v-39r
ID
41485