Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Eduard Rosenthal, Jena, 24. Juli 1914

Herrn Geh. Justizrat | Prof. Dr. Eduard Rosenthal | Jena

Jena, 24. Juli 1914.

(Differenz zwischen der Philos. Facultät | und Prof. Dr. Ludwig Plate)

Hochgeehrter Herr Kollege!

Als juristischesa Mitglied der Kommission, welche der illustre Senat zur Lösung der schwebenden Differenz zwischen der Philosophischen Fakultät und Herrn Prof. Dr. L. Plate (– betreffend das Phylethische Archivb) eingesetzt hatte, hatten Sie gestern die Güte, mir mündlichc einige wichtige Mitteilungen zu machen und zugleich meine persönliche Auffassung in dieser mich unmittelbar berührenden Streitfrage einzuholen. Damit in dieser Beziehung keine Zweifel entstehen, erlaube ich mir, die wichtigsten, gestern mündlich besprochenen Punkte nachstehend schriftlich festzulegend.

1. Das Phylethische Archiv soll vorzugsweise bleibendee Sammlung der zahlreichen Dokumente zur Geschichte der Entwicklungslehre sein, welche ich im Laufe fünfzigjähriger Lebensarbeit für dieselbe gesammelt habe (Näheres darüber habe ich 1911 im 1. Aprilheft der Frankfurter Halbmonatsschrift: „Das freie Wort“ mitgeteilt). Ursprünglich sollte dieses Archiv eine besondere Abteilung des 1907 gegründeten Phylethischen Museums bilden, welches ich am 30. Juli 1908 der Universität Jena zu ihrem 350-jährigen Jubiläumf als Geschenk übergeben || hatte. Die Einrichtung und Ausstattung dieses Phyletischen Archivs hatte ich mir von Anfang an persönlich vorbehalten und dafür drei Räume im Museum bestimmtg, einen größeren Gedenksaal (zur Aufnahme der Bilder, Büstenh und anderen Kunstwerke), ein mittleres Bibliothekszimmer und ein kleines Arbeitszimmer. Die beabsichtigte Ausführung dieses Projektes, welche meine letzten Lebensjahre ausfüllen sollte, wurde dadurch vereitelt, daß mein Amtsnachfolger, Professor Dr. L. Plate, gleich nach seinem Amtsantritt (April 1909) erklärte, daß er „als alleiniger Direktor des Zoologischen Instituts und des Phyletischen Museums“ mir das Recht zu jener Ausführung nur „persönlich“, d. h. für meine Lebenszeit zugestehen könne und daß er nach meinem Tode über die 3 Räume und Archive und ihren Inhalt in anderer Weise nach seinem freien Ermessen verfügen werde. Durch idiesen Gegensatz unserer Ansichten und die daraus folgende Controverse jwurde mir die Benutzung des Arbeitszimmers, in welchem ich die letzten Jahre den Rest meiner literarischen Lebensarbeitk erledigen wollte, unmöglich gemacht und zugleich der Wunsch nahegelegt, das Phyletische Archiv gänzlich vom Phyletischen Museum zu trennen. ||

2. Universitäts-Bibliothek. Die Erfüllung dieses Wunsches wurde dadurch im vorigen Jahre möglich, daß das Großherzogliche Staatsministerium, unter Zustimmung der Kuratoren und desl Direktors der Universitätsbibliothekm, in den jetzt begonnenen Erweiterungsbau der Universitäts Bibliothek mir zur Aufnahme des Phyletischen Archivs 2 Räume bewilligte, einen größeren für die Aufnahme der naturgeschichtlichen Bibliothek und der literarischen Materialien, und ein kleines Arbeitszimmer für den Archivar, den ich aus den Mitteln der Ernst-Haeckel-Stiftung besolde und der als Beamter der Bibliothek dieser unterstellt ist. Die Bezeichnung „Phyletisches Archiv“ ist fernerhin vielleicht besser durch: „Archiv für Entwicklungslehre“ zu ersetzen, da die Phylogenie oder Stammesgeschichte nur einen bestimmten Teil der Entwicklung umfaßt. In Folge dieser neuen Entwicklung werden Ostern 1916n die 2 kleinen Räume frei, welche bisher im Phyletischen Museum für das Archiv reserviert owaren, und können von Professor Plate, seinem Wunsche entsprechend, für die Erweiterung der Schausammlung benutzt werden. Es bleibt im Museum nur der größere Raum (− Gedenksaal −), welcher die Bilder und Kunstwerke enthält und nach meinem Tode dem öffentlichen Besuche zugänglich gemacht werden soll. Über dessen Inhalt werde ich dem Museums Leiter unter Beifügung eines speziellenp Katalogs einen laufenden Bericht abstatten. ||

3. Ernst-Haeckel-Stiftung, über welche ich in der Monatsschrift „Neue Weltanschauung“ am 31. October 1913 einen kurzen Bericht erstattet habe, qist von der Direktion des Phyletischen Museums ganz unabhängig. rDie Verfügung über ihre Einkünfte bleibt bei meinen Lebzeiten mir überlassen, nach meinem Tode einer besonderen, noch näher zu bestimmenden Kommission des Senats.

4. Das Depot des Phyletischen Archivs, welches ich 1911 in der hiesigen „Bank für Thüringen“ (− Strupp −) eingerichtet hatte, über dessen Verwendung ich mir bei Lebzeiten freie Verfügung vorbehalten habe, ist ebenfalls von der Direktion des Phyletischen Museums unabhängig und soll später der Ernst-Haeckel-Stiftung zugefügt werden. Der Bestand desselben ist gegenwärtig durch die Anschaffungen für das Archiv und die Besoldung des Archivars vollständigs aufgezehrt.

5. Die Stiftung des Monistenbundes (30.000 Mk), welche kürzlich der Vorstand des Deutschen Monistenbundes aus Anlaß meines 80. Geburtstages der Universität Jena für die Ernst-Haeckel-Stiftung als Geschenk übergeben hatte, ist bereits dem Universitäts Rentamt zugeführt; die Direktion des Phyletischen Museums kann darauf keinen Anspruch erheben.

Zu jeder weiteren Erörterung (und Begründung) hinsichtlich dieser kurzen Mitteilung bin ich einer vom illustren Senat zu bestimmenden Kommission gern bereit. Mit Herrn Prof. Plate noch weiterhint mündlich oder schriftlich zu verhandeln, ist für mich nach der Erfahrung der letzten 5 Jahre uzu meinem Bedauern unmöglich, da unsere ethischen und sozialenv Auffassungen wvielfach in unvereinbaremx Gegensatz stehen.

a eingef.: jurist.; b gestr.: und die Ritter-Professur; c eingef.: mündlich; d gestr.: zu fixieren; eingef.: festzulegen; e eingef.: bleibende; f eingef.: zu ihrem 350-j. Jubiläum; g gestr.: reserviert; eingef.: bestimmt; h eingef.: Büsten; i gestr.: die Controverse, die sich unvermeidbar aus; j gestr.: knüpfte und im Sommer 1909 zu einem unaufhörlichen Gegensatz unserer persönl. Anschauungen führte; k eingef.: Lebensarbeit; l eingef.: das Großherzogliche Staatsministerium, unter Zustimmung der Kuratoren und des; m gestr.: unter Zustimmung der Herren Kuratoren und; n eingef.: Ostern 1916; o gestr.: worden; p eingef.: speziellen; q gestr.: ist Eigentum der Universität; r eingef.: Die Verfügung über ihre Einkünfte bleibt bei meinen Lebzeiten mir überlassen, nach meinem Tode einer besonderen, noch näher zu bestimmenden Kommission des Senats; s gestr.: fast; eingef.: vollständig; t eingef.: weiterhin; u gestr.: fernerhin; v eingef.: ethischen und sozialen; w gestr.: vielen wichtigen Beziehungen; x gestr.: einem unversöhnlichen; eingef.: in unvereinbarem

 

Letter metadata

Gattung
Verfasser
Empfänger
Datierung
24.07.1914
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Jena
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 41310
ID
41310