Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Heinrich Eggeling, Jena, 5. Januar 1907

A.

Bericht über die Gründung des

Phylogenetischen Museums

von Prof. Dr. Ernst Haeckel.

Jena 5. Januar 1907.

Hochgeehrter Herr Curator!

Anknüpfend an die mündliche Unterredung, die ich am 2. Januar d. J. mit Ew. Exzellenz zu haben die Ehre hatte, und entsprechend Ihrer dabei gemachten Aufforderung, erlaube ich mir Ihnen nachstehend in Kürze den allgemeinen Plan zu entwickeln, welchen ich seit langer Zeit über die Gründung eines neuen Phylogenetischen Museums in Jena vorbereitet habe. Wie Ihnen bekannt ist, sind die Räume des jetzigen Zoologischen Museums für die angemessene Aufnahme und ordnungsmäßige Aufstellung der darin untergebrachten Sammlungen ganz unzureichend. Im Laufe der 24 Jahre, die seit Eröffnung des jetzigen Zoologischen Instituts (1883) verflossen sind, haben sich sowohl die Praeparate der Sammlung, als auch die Bibliothek und die übrigen Unterrichts-Mittel um mehr als das Doppelte vermehrt. Der disponible Raum, von Anfang an zu beschränkt, ist so überfüllt, daß ein großer Teil der Sammlungen und der Bücher in den Bodenräumen notdürftig untergebracht werden mußte. ||

Verschiedene Versuche, diesen empfindlichen Raummangel durch Ausbau oder Erweiterung des jetzigen Zoologischen Instituts abzuhelfen, haben sich schon vor der Ausführung in Anbetracht der örtlichen und baulichen Verhältnisse als untauglich erwiesen. Es hat sich daher in mir immer mehr die Überzeugung befestigt, daß bei weitem das Zweckmäßigste der Neubau eines besonderen Museums-Gebäudes, in der Nähe des jetzigen, und ungefähr vom Umfang des jetzigen Zoologischen Instituts sein würde. Ungefähr die Hälfte der in letzterem untergebrachten Sammlungen würde in diesem neuen Gebäude aufzustellen sein, das im Hinblick auf seinen besonderen Charakter als „Phylogenetisches Museum“ (oder kürzer: „Phyletisches Museum“) zu bezeichnen sein würde. Den wichtigsten und eigentümlichen Teil desselben würden die Praeparate und Bilder ausmachen, die sich auf die Stammesgeschichte oder Phylogenie beziehen, jenen Zweig der Entwickelungslehre, den ich selbst – gestützt auf die Deszendenz-Theorie von Lamarck und Darwin – vor 40 Jahren in meinen meiner „Generellen Morphologie“ begründet habe. Außerdem würde ich selbst dem Phyletischen Museum eine große Anzahl von Bildern und anderen Kunstwerken einverleiben, die bisher in meinem persönlichen Besitze waren. ||

Das Phyletische (oder Phylogenetische) Museum in Jena, wie ich es jetzt auszuführen beabsichtige, soll ein neues allgemeines Bildungsmittel in der Art sein, daß Kunst und Wissenschaft darin vereinigt werden, um dem gebildeten Publicum die Bedeutung des modernen Entwickelungs-Gedankens anschaulich vor Augen zu führen. Die Sammlungen, durch kurze wissenschaftliche Erklärungen erläutert, sollen dem gebildeten Publicum an bestimmten Tagen zugänglich, den Studierenden der Naturwissenschaften aber auch zum Selbststudium, wie zur Ausführung besonderer Arbeiten dienlich sein. Die Direktion des Museums wird meinem Amtsnachfolger, dem ordentlichen Professor der Zoologie und Direktor des zu zoologischen Instituts zufallen. Die Aufsicht und Instandhaltung der Sammlungen wird einem Diener zufallen, der im Erdgeschoß seine Wohnung hat und der zugleich als Praeparator für das Zoologische Institut dienen kann. (– Der jetzige Diener des Zoologischen Instituts, dem bisher der notwendige Praeparator fehlte, ist ohnedies so mit Arbeit überhäuft, daß eine zweite Arbeitskraft zur Conservation unentbehrlich wird. –).

Die überfüllte Sammlung im jetzigen Zoologischen Institut wird ungefähr die Hälfte ihres jetzigen Bestandes an das neue Phyletische Museum abgeben und fortan nur die Bedeutung der Unterrichts-Sammlung behalten. (In den meisten zoologischen Instituten werden neuerdings Unterrichts-Sammlung und Schau-Sammlung getrennt.). ||

In derselben Weise, wie ich in den von mir herausgegebenen „Kunstformen der Natur“ versucht habe, die verborgenen Schönheiten der organischen Formen einem größeren Kreis von Gebildeten zugänglich zu machen, würde auch in der Schau-Sammlung des Phyletischen Museums der ästhetische Gesichtspunkt neben dem wissenschaftlich belehrenden hervortreten; das Wahre und das Schöne sollen vereint auf den Beschauer wirken und ihn zum Guten hinführen.

In der angeführten Beilage B habe ich vorläufig meine Vorschläge für Beschaffung der erforderlichen Geldmittel (Grund-Capital hunderttausend Mark) entwickelt. Ich füge auch hinzu, daß ich selbst dem Phyletischen Museum nicht allein baar 30.000 Mk. zum Geschenk mache, sondern auch (in der persönlichen Kunst-Abteilung) eine Sammlung von mir gewidmeten Kunstwerken (Bilder von Lenbach, Gabriel Max, Ernst Körner u.a., ferner Marmorbüsten, Votivtafeln, Handzeichnungen etc), deren Gesamtwert die Summe von 60‒80 Tausend Mark beträchtlich übersteigen dürfte.

In der angeschlossenen Beilage C habe ich eine rohe Skizze von der vorläufig projektierten Verteilung der Sammlungen in beiden Stockwerken des Phyletischen Museums entworfen.

In der Hoffnung daß Sie, hochgeehrter Herr Curator, Ihr vielbewährtes warmes Interesse für meine hiesige wissenschaftliche Tätigkeit auch diesem, meinem letzten Unternehmen zuwenden werden, bleibe ich in vorzüglicher Verehrung Ew. Exzellenz

ergebenster Professor Dr. Ernst Haeckel. ||

B.

Bericht über die Gründung des

Phylogenetischen Museums

von Prof. Dr. Ernst Haeckel.

B. Beilage: Vorschläge zur

Beschaffung der Geldmittel.

Jena 5. Januar 1907.

Hochgeehrter Herr Curator!

In Ergänzung des Berichts, welchen ich heute Ew. Exzellenz über Gründung des neuen Phylogenetischen Museums in Jena abgestattet habe, erlaube ich mir nachstehend meinen vorläufigen Plan über Beschaffung der dazu erforderlichen Geldmittel zu entwickeln. Nachdem ich gestern mit dem in Aussicht genommenen Regierungs-Baumeister Herrn Karl Dittmar, meinen Plan über Bau und Einrichtung des Phyletischen Museums eingehend besprochen, auch mit ihm den projectirten Parkplatz (– am Neutor, südlich neben dem pharmakologischen Institute –) besichtigt habe, ist für eine zweckmäßige, solide und schöne Ausführung unseres Projectes die Summe von Hunderttausend Mark als erforderlich erkannt worden. Hiervon würden 60‒70 Tausend für Ausführung des massiven Gebäudes und Herstellung seiner Umgebung, 30‒40 Tausend für die innere Ausstattung (Anschaffung von Schränken, Möbeln u. s. w.) zu verwenden sein. (Der Baugrund, als Universitäts-Eigentum, steht gratis zur Verfügung).│

Von dieser Summe (100 Tausend Mark) steht die Hälfte, (mit Zinsen, vom 1. Januar 1907 an gerechnet) sofort zur unmittelbaren Verfügung, nämlich

A. 30.000 Mk. – Dreißigtausend Mark, welche ich selbst der Universität Jena schenkte (Ertrag meiner Schriftsteller-Tätigkeit im letzten Decennium).

B. 20.000 Mk. – Zwanzigtausend Mark, als Ergebniß der Sammlungen für die „Ernst-Haeckel-Stiftung“ (– von meinen Schülern gegründet am 16. Feruar 1894, bei Gelegenheit meines 60. Geburtstages –).

C. 50.000 Mk. – Die andere Hälfte des Capitals, würde aus folgenden Quellen zu erwarten sein:

D. Beitrag der „Carl-Zeiss-Stiftung“ – der verdienstvolle Gründer derselben, mein verstorbener Freund, Professor Ernst Abbe, würde sicherlich gern eine größere Summe zu meinem Unternehmen beigesteuert haben.

E. Beiträge der Durchlauchtigsten Erhalter der Universität Jena.

F. Beitrag (privat) Seiner Königlichen Hoheit, des Großherzogs Wilhelm Ernst, des Rector Magnificentissimus der Universität Jena (eingedenk des warmen persönlichen Interesses, welches Höchstdessen Großvater und Vater stets mir und meinen Arbeits-Unternehmungen gewidmet haben.

G. Beiträge aus einer neuen Sammlung für die Ernst-Haeckel-Stiftung, welche meine Schüler gegenwärtig (für den Zweck dieses Museums) bereits begonnen haben. ||

H. Beiträge aus dem jährlichen Zins-Ertrage der „Paul von Ritter’schen Stiftung für die Phylogenetische Zoologie“ (gegründet am 17. Mai 1886, mit einem Capital von 300 Tausend Mark). Der Zweck und die Ausführung des neuen phylogenetischen Museums entspricht vollkommen den Intentionen des Stifters, Herrn Dr. Paul von Ritter in Basel. Es ist daher völlig angemessen, daß von jetzt an (vom 1. Januar 1907 an) von dem jährlichen Ertrage dieser Stiftung (10.000 Mk) der vierte Teil (– 2.500 Mk –) für das neue Phylogenentische Museum verwendet wird.

Zunächst läßt sich nicht bestimmen, wie hoch die unter D. E. F. G. zu erwartenden Beiträge sich belaufen und wann sie baar eingezahlt werden. Andererseits muß es mir, eingedenk meines hohen Alters (73 Jahre) und des natürlichen Wunsches, die zweckmäßige Ausführung meines Projectes selbst zu leiten und zu überwachen, höchst wichtig erscheinen, daß auch die zweite Hälfte des erforderlichen Gründungs-Capitals (50.000 Mk) schon jetzt völlig gesichert und disponibel erscheint. Ich erbiete mich daher, diese Summe schon jetzt der Universität Jena als unverzinsliche Anleihe in der Weise auszuzahlen, daß mir (oder meinen Erben) dieselbe im Laufe der nächsten 20 Jahre aus dem Zins Ertrage der Paul von Ritterschen Stiftung zurückerstattet wird (also jährlich 2500 Mk). ||

Im Laufe der 46 Jahre, welche ich an der Universität Jena als Docent tätig bin, habe ich zahlreiche Beweise der besonderen persönlichen Neigung und Anhänglichkeit gegeben, mit welcher ich unserer Thüringer Alma mater zugetan bin. Ich habe, um hier zu bleiben und zu arbeiten, vier glänzende und ehrenvolle Berufungen (– nach Würzburg, Wien, Straßburg, Bonn –) ausgeschlagen, von denen jede mir mehr als das Doppelte meines jetzigen hiesigen Einkommens geboten hat. Ich habe bei Gelegenheit der Einweihung des jetzigen Zoologischen Instituts (am 3. Mai 1883) demselben meine ganze naturwissenschaftliche Bibliothek (im Werte von ca. 120 Tausend Mark) zum Geschenk gemacht. Der Wert meiner eigenen, dem Institute geschenkten zoologischen Sammlungen, dürfte diese Summe noch übersteigen. Wenn ich nun jetzt – vor Aufgabe meines Amtes – mit der Begründung und Ausstattung des neuen Phyletischen Museums – der geliebten Universität Jena ein neues und letztes großes Opfer darbringe, so darf ich mich wohl der Hoffnung hingeben, daß Sie, hochgeehrter Herr Curator, meine Unternehmung gütigst unterstützen und die wohlwollende Genehmigung der Durchlauchtigsten Erhalter der Universität dafür erwirken werden.

In dieser frohen Zuversicht verbleibe ich, mit der Versicherung der vorzüglichsten Hochachtung

Ew. Exzellenz ganz ergebener

Prof. Dr. Ernst Haeckel

Director des Zoolog. Instituts. ||

C.

Bericht über das Gebäude

und die innere Einrichtung des

Phylogenetischen Museums

von Prof. Dr. Ernst Haeckel.

Jena 5. Januar 1907.

Hochgeehrter Herr Curator!

Dem Wunsche Ew. Exzellenz entsprechend, habe ich gestern meinen vorläufigen Plan des neu zu gründenden Phylogenetischen Museums dem dafür in Aussicht genommenen Regierungs-Baumeister, Herrn Karl Dittmar mitgeteilt, mit ihm zusammen den projectierten Bauplatz (– am Neutor, südlich neben dem pharmacologischen Institut –) besichtigt und ihm die Sammlungen gezeigt, die darin unterzubringen sind. Nach eingehender Beratung sind wir zu dem Ergebniß gelangt, daß das neue phyletische (oder phylogenetische) Museum in Bezug auf Größe und allgemeine Raum-Verteilung ungefähr dem jetzigen Zoologischen Institute gleichkommen würde, dessen Bau (vor 25 Jahren) nur 60.000 Mk gekostet hat. Da es jedoch sehr wünschenswert ist, daß das neue Phyletische Museum dem entwickelten modernen Kunstgeschmack mehr entspricht und schöner ausgestattet wird, als das letztere, dürfte die Summe der Baukosten entsprechend höher anzunehmen sein. ||

Die breite östliche Frontseite des Phyletischen Museums ist dem Paradies und Hausberg zugewendet (unmittelbar über dem Brunnen der Kahla. Strasse, am Neutor); die entgegengesetzte westliche Frontseite ist dem jetzigen Zoologischen Institut zugewendet. Die nördliche Giebelseite steht dem alten pharmakologischen Institut gegenüber, die südliche dem Hartungschen Hause.

Das Gebäude ist massiv auszuführen und ganz zu unterkellern; die einzige Zugangstür entweder von Osten (Freitreppe von der Kahla. Strasse), oder von Westen (Zugang vom Garten des Zoologischen Instituts).

Die Kellerräume nehmen die Heizungs-Materialien und eventuell Aquarien auf (Große Souterrain Fenster).

Das Erdgeschoß (mit Corridor) enthält vorn 5 Räume für die auserlesenen Sammlungen, hinten rechts das Archiv und die Bibliothek, links die Diener-Wohnung (mit Küche und Abort).

Der Oberstock enthält vorn 2 große durchgehende Sääle (mit je 4‒5 Nischen) für die Zoolog. Bilder-Gallerie, hinten die Abteilungen für Kunstwerke (links Wandbilder, Aquarelle etc) rechts die persönliche Sammlung von Ernst Haeckel (Portraits, Büsten, Votiv-Tafeln etc), sowie die Grundlagen einer Anthropologischen Sammlung.

Die Bodenräume bleiben für Vorrats-Kammern und vorläufige Aufstellung von Zugängen reserviert. ||

[egh. Raumplan für den oberen und unteren Stock des Phyletischen Mueums] ||

Front: Ostseite; Blick auf das Paradies und Hausberg.

Oberer Stock: Bilder-Gallerie

Protisten
(Einzeller)

Nessel-
tiere

Gatraea-
Theorie

Wurm-
tiere

Zellen-

Theorie

Stern-
tiere

Weich-
tiere

Glieder-
tiere

Wirbel-
tiere

(Offener Mittelgang )

Wanderbilder

Aquarelle, Ölbilder, Prachtwerke, Statuen

Treppe

Ernst Haeckel

Persönliche Sammlung

Porträts, Büsten,
Votiv-Tafeln etc.

Unterer Stock: Sammlungen

Front: Ostseite; Kahla. Strasse

Korallen-

Sammlung

Typen-

Sammlung

Vögel-

Sammlung

Säugetier-

Sammlung

Primaten-

Sammlung

Corridor

Wohnung des

Dieners

Küche

Abort

Treppe

Archiv

Bibliothek

Eingangstür

Es ist wünschenswert, daß das Phyletische Museum sofort beim Bau mit Central-Heizung versehen wird, außerdem aber die Diener-Wohnung mit Öfen ausgestattet.

Da die vorstehende rohe Skizze nur ganz im Allgemeinen die Disposition der Räume und ihres Inhalts andeuten soll, bleiben alle speziellen Vorschläge, sowie auch die Fragen der äußeren und inneren künstlerischen Ausstattung, dem dafür ausersehenen Herrn Regierungs-Baumeister überlassen.

Wenn die hohe Staatsregierung, wie zu hoffen ist, meine Pläne billigt, kann der Bauplan vom Herrn Baumeister in nächster Zeit fertig gestellt, der Bau im Frühjahr begonnen und im Herbst beendigt werden. Sodann könnte im Frühjahr 1908 der Umzug der Sammlungen und die innere Einrichtung ausgeführt und das fertige Phyletische Museum der Universität Jena bei Gelegenheit ihrer 350 -jährigen Jubelfeier im Sommer 1908 übergeben werden.

Im Hinblick auf diese günstigen Zeitverhältnisse erlaube ich mir an Sie, hochgeehrter Herr Curator die ergebenste Bitte zu richten, die wohlwollende Teilnahme, die sie meinem Project entgegenbringen, auch in der tunlichsten Beschleunigung seiner Ausführung zu betätigen. Indem ich Ihnen meinen besten Dank dafür im Voraus abstattete, bleibe ich in aufrichtigster Verehrung Ew. Exzellenz ergebenster Professor Dr. Ernst Haeckel.

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
05.01.1907
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 41255
ID
41255