Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Wilhelm Breitenbach, Jena, 17. Oktober 1918

Jena 17.10.18.

Lieber Herr Doktor!

Die pessimistischen Betrachtungen, denen Sie in Ihren beiden letzten Briefen Ausdruck gegeben haben, muß ich leider vollkommen teilen. Ich sehe keinen Ausweg aus der verzweifelten Lage, in welche uns die miserable Staatskunst des romantischen Kaisers Wilhelm II. gestürzt hat. Da ich mich (– mit 84 Jahren! –) noch genau der Revolution von 1848 erinnere, der Gründung des Deutschen Reiches durch die bewunderungswürdige Politik Bismarcks (1864–1890), u.s.w. – empfinde ich jetzt umso tiefer den Verlust aller der Güter, welche uns die ersehnte Einheit des D. Reiches durch die Letztere gebracht hatte. ||

Unsere maßgebenden „Philosophen“ (dualistische Metaphysiker!) sind hier, wie auf den meisten Universitäten, noch immer der Ansicht, daß die monistische Entwickelungslehre, – und ihr wichtigster Satz, die „Primaten-Deszendenz des Menschen, eine unbegründete „Hypothese“ sei!! –

In Jena ist die Revolution sehr ruhig verlaufen, ohne Blutvergiessen und Krawalle. Die Carl-Zeiss-Stiftung behandelt ihre 12.000 Arbeiter sehr vernünftig. Dem verflossenen Großherzog von Weimar wird keine Thräne nachgeweint!

Mit herzlichen Grüssen und mit besten Wünschen

treulichst Ihr alter

Ernst Haeckel

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
17.10.1918
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
Archiv des Helmholtz-Gymnasiums Bielefeld
ID
41171