Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Wilhelm Breitenbach, Jena, 28. August 1918

Herrn Dr. W. Breitenbach (Bielefeld)

Jena 28.8.1918.

Lieber Herr Doktor!

Ihre vortreffliche Denkschrift: „Zur Reorganisation des Deutschen Monistenbundes“, für deren Abfassung ich Ihnen sowohl persönlich wie als dessen alter „Ehrenpräsident“ herzlichst danke, ist seit 8 Tagen Gegenstand eingehender Beratungen zahlreicher Mitglieder gewesen. Unter den hiesigen Bundesmitgliedern haben sich besonders dafür interessiert: Dr. Heinrich Schmidt, Dr. Carl Brauckmann, Prof. Dr. Otto Knopf, Dr. Carl Leonhardt. Ganz besondere Teilnahme fand Ihr Entwurf bei Herrn Dr. med. Richard Rahner (42 Jahre), einem praktischen Arzte in Gaggenau (Baden). Derselbe beabsichtigt, nach dem Frieden sich von seiner großen Praxis abzulösen und nach Jena überzusiedeln, um an dem neuen „Haeckel-Museum“ sich ganz dem Studium der Entwickelungslehre und des Monismus zu widmen. ||

Die theoretischen Anschauungen Ihrer Denkschrift fanden ungeteilten Beifall. Hingegen wurden gegen Ihre praktischen Vorschläge vielfach Bedenken geäußert, denen auch ich zum Teil beistimmen mußte. Diese betrafen besonders die Leitung von zwei besoldeten Direktoren, und die Zusammensetzung des Kuratoriums.

Das Endergebnis unserer eingehenden Besprechungen war, daß die Mehrzahl der Mitglieder sich nicht entschließen konnte, Ihren gründlich durchdachten Entwurf zu unterzeichnen und der am 29. September hier anberaumten außerordentlichen Versammlung der Ortsgruppen-Vorstände zur Grundlage Ihrer Verhandlungen zu empfehlen. Es zeigte sich wieder, wie schwierig es ist, so wichtige Organisations-Fragen, deren theoretische Probleme klar vorliegen, zur richtigen praktischen Ausführung zu leiten. ||

Die gewichtigsten Bedenken wurden jedoch laut – und zwar leider mit Recht! – angesichts I. der Geldfrage (Nervus rerum!) und II. der ungünstigen Kriegs-Verhältnisse!

Die Ausführung Ihres schönen Projektes würde I. ein ansehnliches Kapital fordern, dessen Zinsen die beträchtlichen Mittel zur Besoldung der 2 Direktoren und der anderen Beamten des reformierten Monistenbundes liefern könnten – ebenso zur Deckung der Verwaltungskosten, Zeitschrift etc.

II. Die gegenwärtige höchst bedenkliche Lage des wahnsinnigen Weltkrieges und die schlechten Aussichten auf einen günstigen Frieden wurden von den meisten Genossen so pessimistisch beurteilt, daß es für nutzlos angesehen wurde, jetzt ernstlich an die Bundes-Reform zu denken. Vielleicht wäre es zweckmäßig, wenn Sie Ihren Entwurf Herrn Carl Riess mitteilten (Hamburg, Klein Fontenag 1); er ist der tätigste unter den jetzigen Vertretern des Monistenbundes, und seine monatlichen Mitteilungen relativ die besten; er will am 28. und 29. Sept. hier sein. ||

Unter diesen ungünstigen Umständen muß ich meinen Wunsch aufgeben, daß Sie sich zu der außerordentlichen Versammlung der Ortsgruppen-Vertreter nochmals nach Jena bemühen möchten. Auch ich selbst werde an derselben schwerlich teilnehmen, wie gewünscht wurde. Meine Kräfte nehmen jetzt so ab, daß ich kaum noch auf 2 Monate Lebensrest rechnen kann. Auch bin ich durch meine vielen vergeblichen Bemühungen um den Bund sehr entmutigt! –

Dr. H. Schmidt und Dr. Rahner überraschten mich am 25.8. durch die Mitteilung, daß sie eine neue „Gesellschaft zur Förderung der Entwicklungslehre“ gegründet hätten – in Verbindung mit dem neuen „Haeckel-Museum“. Ich möchte wünschen, daß sie ein besseres Schicksal damit hätten, als mit dem Monistenbund! – Einstweilen bleibe ich resigniert!

Mit wiederholtem herzlichen Danke für Ihre vielfachen Bemühungen

treulichst Ihr alter

E. Haeckel.

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
28.08.1918
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Bielefeld
Besitzende Institution
Archiv des Helmholtz-Gymnasiums Bielefeld
ID
41169