Jena 26.2.1916
Lieber Herr Doktor!
Für Ihre freundlichen Glückwünsche zu meinem 82. Geburtstage besten Dank! Ich habe denselben in sehr resignierter Alters-Stimmung verlebt, zumal die „Kriegs-Psychose“, welche die Mehrzahl der modernen Kulturmenschheit zum klaren vernünftigen Denken unfähig macht, die Erinnerung an die schöne Vergangenheit – ein halbes Jahrhundert fruchtbarer Geistes-Arbeit – als Bestes erscheinen läßt!
– Heute sollte hier die wichtige „Hauptversammlung“ des D. Monistenbundes stattfinden, mit Neuwahl des Präsidiums, Fragen der Organisation und Publikation, Anträgen an den Reichstag etc, Petition für „Gedankenfreiheit“, Toleranz etc. etc. || Vorgestern wurde die Versammlung von dem provisorischen Präsidenten, Dr. Müller-Lyer (München) telegraphisch abgesagt, da das General-Kommando die erforderliche Erlaubnis nur bewilligen wollte, wenn derselbe alle Verantwortung für eventuelle politische Debatten (– „die schädlich für die Kriegführung sein könnten“) übernehmen wolle – was er natürlich ablehnen mußte, zumal die Ansichten darüber im Bund weit auseinander gehen! –
Gestern und heute besuchten mich ein Dutzend zugereiste Bundes-Mitglieder aus Nord und Süd, alle sehr enttäuscht und wenig hoffnungsvoll. Auch von Ihnen und Ihren großen Verdiensten um den Monistenbund war viel die Rede; und Bedauern über Ihr Ausscheiden, und über die vielen Fehler der Bundesleitung! –
Hoffen wir auf bessere Zeiten! – und auf die Auferstehung der „Neuen Weltanschauung“!
Mit besten Grüssen
Ihr alter
E. Haeckel