Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Herbert Eulenberg, Jena, 10. Januar 1917

Dem Dichter Herbert Eulenberg

(Haus Freiheit) in Kaiserswerth am Rhein

Jena 10. Januar 1917

Verehrtester Freund!

Durch Ihre poetische Krönung meines „Biogenetischen Grundgesetzes“ haben Sie mir am Beginn des Neuen Jahres eine ganz besondere Freude bereitet; herzlichen Dank! Es ist wohl das erste Mal, daß der bedeutungsvolle Kausal-Nexus zwischen Keimes- und Stammes-Geschichte in so vollkommener Weise von einem Meister der Dichtung verherrlicht und verstanden wird!

Bei tieferem Eindringen in die Anthropogenie werden Sie noch viele andere, wenig den „Gebildeten“ bekannte Erscheinungen entdecken, die in gleicher Weise poetisch zu würdigen sind. –

So ist der „Erotische Chemotropismus“ beim Vorgange der Befruchtung (S. 156, 875) höchst interessant. Tatsächlich ist jeder Mensch (normaler Weise entwickelt) neun Monate älter, als sein Geburtsschein amtlich angiebt. Denn die Entstehung der individuellen Person (– mit allen ihren einzigen, durch die Vererbung von 2 Eltern und 4 Großeltern bedingten Eigenschaften! –) datiert nicht von dem zufälligen Momente der Geburt, sondern von dem Augenblicke der Befruchtung! (Vortrag VII.). Damit ist auch das Problem des Athavismus gelöst!

Mit herzlichen monistischen Grüßen und besten Wünschen für das Neue Jahr

Ihr treu ergebener

Ernst Haeckel.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
10.01.1917
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Kaiserwerth am Rhein, Haus Freiheit
Besitzende Institution
Rheinisches Literaturarchiv Düsseldorf
Signatur
NL Eulenberg, HHI. 99.50109.169
ID
40929