Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Marie Eugenie delle Grazie, Jena, 20. Dezember 1901

ZOOLOGISCHES INSTITUT

DER UNIVERSITÄT JENA.

Jena 20.12.1901.

Hochverehrte Freundin!

Beifolgend sende ich Ihnen, mit freundlichen Weihnachtsgrüßen, meine „Insulinde“, die illustrirte Ausgabe der gesammelten „Malayischen Reisebriefe“, die Sie einzeln bereits durch die Redaction der deutschen Rundschau erhalten haben werden. Zugleich statte ich Ihnen dabei meinen herzlichsten, längst schuldigen Dank für die freundliche Gabe Ihrer beiden jüngsten Dramen ab, welche ich mit größtem Interesse gelesen habe, immer auf’s Neue die Tiefe Ihrer philosophischen Gedanken-Arbeit und die Schönheit Ihres poetischen Ausdrucks bewundernd. ||

Inzwischen werden Sie auch Heft V. und VI. meiner „Kunstformen der Natur“ erhalten und sich an den wunderbaren Gestaltungen, welche die unerschöpflich reiche Phantasie unserer Mutter Natur (‒ Ihrer gefährlichen Concurrentin! ‒) schafft, erfreut haben. Heft VII wird auch bald fertig sein. VIII–X (Schluß) sind in Arbeit.

Außer dieser Arbeit beschäftigt mich jetzt die X. Aufl. der „Natürlichen Schöpfungsgeschichte“. Viel Zeit kosten mich meine indischen Sammlungen, 46 Kisten, zu denen jetzt nachträglich noch 18 weitere aus Sumatra gekommen sind (Summa 64); darunter viele schöne Korallen. ||

Sehr gefreut hat es mich, daß unser lieber hochverehrter Freund Carneri seinen 80.sten Geburtstag und die Vollendung seiner Dante-Übersetzung erlebt hat, sowie die Ehren-Promotion zum Dr. phil. von Seiten der Universität Wien. Ich hatte schon vor 12–15 Jahren diese Ehrung bei unserer Universität Jena beantragt, fand aber leider nicht die nöthige Zustimmung aller Collegen.

Ich darf Sie wohl freundlichst um die Gefälligkeit bitten, die beiden anderen beigelegten Exemplare der „Insulinde“ an ihre Adressen befördern zu lassen; das eine (an meinen serbischen Übersetzer, Dr. Ivezitch) im „Allgemeinen Krankenhaus“ abgeben zu lassen, das andere durch Ihren Buchhändler nach Graz zu befördern (an Prof. v. Graff). || Ich hoffe, daß die beigelegte Österreichischen Freimarken zur Deckung dieses Transports genügen werden.

Mit besten Wünschen für ein vergnügtes Weihnachtsfest und für ein glückliches neues Jahr, sowohl für Sie, hochverehrte Dichterin, als für unseren Freund, Prof. Müllner, bleibe ich verehrungsvoll

Ihr treu ergebener

Ernst Haeckel.

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
20.12.1901
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Wien
Besitzende Institution
Wienbibliothek, NL Marie Eugenie Delle Grazie
Signatur
H.I.N. 90694
ID
40884