Ernst Haeckel an Marie Eugenie delle Grazie, Bad Liebenstein, 6. August 1899
Schloss Altenstein.
6.8.1899.
Hochverehrtes Fräulein!
Für Ihren lieben Brief und die Postkarte aus Groß-Reifling bestens dankend, sende ich Ihnen einen herzlichen Gruß aus dem herrlichen Altenstein a einer der schönsten Perlen Thüringens, wo ich für drei Tage die liebenswürdige Gastfreundschaft des Herzogs Georg von Meiningen genieße. Ich habe mit dem ausgezeichneten Fürsten, der ein besonderer Freund der Poesie und des Theaters ist, auch über Ihre geistreichen dramatischen und epischen Dichtungen mich eingehend unterhalten. ||
Ich hatte mich aufrichtig gefreut im September in Salò mit Ihnen und mit unserem Freunde Professor Müllner zusammen zu treffen und einige schöne Tage an dem blauen, von mir besonders geliebten Garda-See zu verleben. Leider habe ich aber meinen Reiseplan ändern müssen, mit Rücksicht darauf, daß die Zeit zu kurz wird für meine Hauptaufgabe, im September in Corsica (Ajaccio), wo ich mehrere Wochen neue lebende „Kunstformen nach der Natur“ malen will. Den October hoffe ich in Rom zu sein. ||
Es freut mich sehr, daß Sie an meinen „Kunstformen der Natur“ so freundliches Interesse nehmen. Das III. Heft erhalten Sie im September, das IV. im November. Mitte September wird auch mein Buch über „Die Welträthsel“ erscheinen; ich hoffe, daß dasselbe sowohl bei Ihnen wie bei Prof. Müllner in mehrfacher Hinsicht besondere Theilnahme finden wird. Freilich kommt der „Papismus“ in meinem Monismus schlecht weg! Ich würde Ihnen dankbar sein, wenn Sie mir den Eindruck des Buches ganz ehrlich mittheilen wollten. || Darf ich Ihnen das Buch durch meinen Verleger (Strauß in Bonn) nach Salò zusenden lassen, oder nach Wien? Antwort trifft mich bis 11.8. in Heidelberg (bei Professor Gegenbaur), bis 17.8. bei Dr. Paul von Ritter (8Schärtlingasse, Basel).
Mit besten Wünschen und herzlichen Grüßen an Sie und Herrn Professor Müllner (‒ dem ich für seinen freundlichen Brief noch besonders danke ‒)
Ihr treu ergebener
Ernst Haeckel.
a gestr.: wo