Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Walter de Gruyter, Jena, 29. Juli 1915

Jena 29. Juli 1915.

Hochgeehrter Herr Doktor!

Für Ihre freundliche Antwort auf meine Anfrage, ob Sie eventuell das populär-wissenschaftliche Buch über „Strahlinge“ (– allgemeine Darstellung der wenig bekannten „Wunderwelten der Radiolarien“ –) in Verlag nehmen wollen, sage ich Ihnen meinen besten Dank! Ich würdige vollkommen die Bedenken, die Sie zur Zeit gegen dieses, schon lange von mir vorbereitete Unternehmen haben, und möchte nur wiederholen, daß dessen Ausführung zwar erst nach mehreren Jahren (vermutlich erst nach meinem Tode) möglich sein wird, aber bei dem Umfang der Aufgaben und der zeitraubenden Vorbereitung des Manuskripts und Auswahl der Textfiguren, schon jetzt begonnen werden soll, zumal die persönlichen Bedingungen dafür jetzt noch sehr günstig sind. ||

Meine 21jährige Enkelin, Else Meyer, die für diese schöne und eigenartige Aufgabe in seltenem Maße befähigt und begeistert ist, will auf jeden Fall den Versuch machen, schon jetzt die „Gemeinverständliche Einführung in die allgemeine Naturgeschichte der Radiolarien“ (mit besonderer Beziehung auf deren Lebens-Verhältnisse) zu beginnen und die geeigneten Figuren aus meiner Monographie heraus zu suchen. Dabei kann sie sich jetzt noch beständig meiner persönlichen Anweisung und Förderung bedienen, insbesondere über viele biologische und historische Verhältnisse Auskunft von mir erhalten. Ich bin der einzige Naturforscher, der das ganze umfangreiche Gebiet der Radiolarien-Klasse beherrscht und der – gestützt auf ein eingehendes Studium von 30 Jahren – alle ihre Beziehungen genau kennt. ||

Für die freundliche Zusendung eines vollständigen Exemplars meiner Monographie der Radiolarien stattet meine Enkelin Ihnen ihren herzlichsten Dank ab; sie wird es gründlich studieren und verwerten. Ich selbst schenke ihr dazu meine ganze (– in ihrer Art einzige –) Sammlung von Radiolarien-Präparaten. Auch danke ich Ihnen bestens für Sendung des zweiten Teils für unser phyletisches Archiv.

Daß der Absatz meiner „Systematischen Phylogenie“ immer noch sehr unbefriedigend ist, bedaure ich sehr; erkläre es mir aber dadurch, daß die große Mehrzahl der Biologen aus Spezialisten besteht, die nur ein ganz beschränktes Feld beherrschen und für die großen, allgemeinen von mir historisch behandelten Aufgaben kein Interesse haben. In späteren Jahren wird der Wert dieses Werkes (– bisher das einzige seiner Art –) ebenso geschätzt werden, wie die „Generelle Morphologie“, aus der es hervorgegangen ist. ||

Mit Sammeln und Ordnen meiner „Lebenserinnerungen“ (– deren Publikation von vielen Seiten gewünscht wird –) bin ich seit langer Zeit beschäftigt. Die Arbeit schreitet aber bei der Reichhaltigkeit des vorliegenden Materials nur sehr langsam vorwärts und ich bezweifle sehr, ob ich sie noch werde zum Abschluß bringen können. Meine Enkelin ist auch hieran sehr interessiert.

Mit freundlichen Grüßen und mit wiederholtem besten Dank

Hochachtungsvoll

Ihr ergebener

Ernst Haeckel.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
29.07.1915
Entstehungsort
Entstehungsland
Zielort
Berlin W.
Besitzende Institution
Staatsbibliothek Berlin PK, Verlagsarchiv Walter de Gruyter
Signatur
M 7704 Dep. 42, R2, Haeckel, Ernst, Bl. 101r-102v
ID
40650