Anonym

Anonym an Ernst Haeckel, [Kassel], 28. Oktober 1914

Herr Provessor E. Häckel, dass nun auch Sie zu den Mordspatrioten herabsteigen und das Bild von Hodler verbannen wollen, ist ein weiterer Beweis für den traurigen Tiefstand unserer deutschen Wissenschafter. Dieser Tage hörte ich einen Spötter der in froher Laune sagte, unsere gelehrten Freigeister seien froh jetzt wieder einmal eine Gelegenheit zu haben, der Regierung ihre loyale Gesinnung zu zeigen. So geht es in der Tat zu. O, unsere deutschen Provessoren! Helden! Als vor gut 100 Jahren der Napoleon seine Rolle spielte, da waren es die deutschen Gelehrten die ihn anhimmelten; mit Ausnahme der 7 Göttinger krochen sie alle vor dem grossen Scheusal, und mit eben derselben Männerwürde wedelten sie dann auch wieder vor den deutschen Despoten und Despötchen. Und wenn jetzt, was unsere Einigkeit verhüten möge, der russische Zar als Herrscher über unser liebes Vaterland einziehen würde, dann würden mit Totsicherheit zuerst unsere deutschen Provessoren die neue Ordnung wissenschaftlich beweisen.

Herr Häckel! Was hat die Kunst und die Wissenschaft mit dem unglücklichem [!] Kriege zu tun? Ebenso wenig als Ihre Welträtsle weggeleugnet werden können, ebenso wenig können Sie die Kunst Hodlers hinweg streiten. Wir, die Laien des Volkes glaubten stets dass die Kunst, die Wissenschaft Gemeingut der ganzen Menschheit seien, aber Sie die Gelehrten selbst, besudeln Ihre eigene Zunft. Glauben Sie wohl Herr Häckel, ich stehe unter einer Anzahl organisirter Tischlergesellen und wir haben schon oft übera Ihreb kühnen Weltgedanken gesprochen aber nun machen Sie Gemeinschaft mit jenen Rinnsteinpatrioten. Das ist bitter. Was wollen Sie wohl nun noch sagen gegen die || kirchlichen Eiferer.

Verlassen Sie sich darauf, das Volk wird diesen Rummel, wie ihn unsere öffentlichen Schreier wollen, nicht mitmachen. Denn wenn Kultur, Kunst und Wissenschaft so erbärmlich nidergetrampelt [!] werden wie es jetzt die eigenen Vertreter machen so wird das Volk noch mehr wie bisher seine Aufmerksamkeit der Brotfrage widmen. Und da haben wir ja eben wieder den Beweis dass unsere Prozentpatrioten auch aus diesem gewaltigen Ereigniss nur immer wieder Vorteile ziehen wollen. Das sind die wirtschaftlichen Frantireures, die jetzt das Brot, die Kartoffeln verteuern, die Millionen einsacken unter der stillschweigenden Zustimmung der Regierung, unbehelligt von der Wissenschaft die doch als erste hir [!] eingreifen müsste.

Solange wartet man mit der Festsetzung der Höchstpreise bis diese Halunken die Taschen schon voll haben, bis das Volk geschröpft ist.

Da greifen Sie ein Herr Häckel wenn Sie irgentwelchen Einfluss haben. Und klären Sie auch das Volk auf damit es nicht blindlings die Völker der anderen Länder hasst. Der Krieg ist das Werk der internationalen Rüstungshetzer der nimmersatten Kapitalisten.

Aber lassen die Kultur aus dem Konflikt. Bleiben Sie lieber international. Schreien Sie nicht mit diesem patriotischem [!] Mob, dann kann auch die Wissenschaft noch etwas tun. Helfen Sie mit, einen anständigen Frieden zu erzielen aber schüren Sie nicht den Völkerhass.

Meinen Namen werde ich Ihnen nicht nennen den es ist noch zu gefährlich.

Sonst aber mit Hochachtung.

der Schreiber

am 28/10 14||

[Kuvert]

Herrn

Provessor

E. Häckel

Jena

a gestr.: von; eingef.: über; b korr. aus: Ihrer

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
28.10.1914
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
EHA Jena
Signatur
A 40490
ID
40490