Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Thomas Henry Huxley, Jena, 20. Oktober 1868

Jena 20 Octob. 68

Mein lieber Huxley!

Vielen Dank für Ihren lieben Brief und für die Drucksachen, welche mir alle von hohem Interesse waren. Ganz besonders hat mich natürlich der „Bathybius Haeckelii“ erfreut, auf dessen Dedication ich als Taufpathe sehr stolz bin! Die Coccosphaeren sind äusserst merkwürdig; freilich scheint·mir ihr Zusammenhang mit den Diseolithen und Cyatholithen immer noch sehr räthselhaft. Es wird wohl noch einige Zeit dauern, ehe wir über alle dieses niederste Protistenvolk auf dem Grunde des Meeres ins Klare kommen, und über den Zusammenhang aller dieser zweifelhaften protistischen und protoplasmatischen „Urorganismen“ irgend etwas Zuverlässiges erfahren.·Aber der Okensche „Urschleim“

kommt wirklich immer mehr zu Ehren, und meine „Plastidentheorie“ kann sich wirklich nur darüber freuen! „Vivant Monera“! ||

Für Ihre gütige Bereitwilligkeit, die englische Übersetzung der „generellen Morphologie“ (falls dieselbe zu Stande kommt!) durchzusehen und durch eine Vorrede bei Ihren Landsleuten einzuführen, bin ich Ihnen äusserst dankbar! Ich verspreche Ihnen dafür, mir alle Mühe zu geben, dass die englische Edition nicht allein eine „verkürzte“, sondern auch eine wesentlich „verbesserte“ wird! – Der Aufsatz über die „Classification der Alectoromorphen" etc. war mir sehr interessant, und ich stimme ganz mit Ihnen überein, was die „Taxonomie conclusions“ betrifft, und die Auseinanderhaltung der logischen, gradationellen und genealogischen Classification. Unsere ganze natürliche Anordnung des Systems ist aber noch so sehr in den ersten Anfängen, dass nur sehr Wenige das begreifen und richtig würdigen werden! In Ihrem Schreiben an den Herausgeber des „Ibis“ (Juli) haben Sie es zwar sehr klar gemacht; aber doch werden es Viele nicht verstehen! ||

Eine ähnliche Art der Classifikation, wie Sie jetzt bei den Vögeln gegeben haben, durch das ganze Thierreich, zunächst mindestens durch das „Phylum“ der Wirbelthiere durchgeführt, würde gewiss unser System sehr fördern. Haben Sie nicht Lust, auch die Säugethiere und Reptilien ähnlich durchzunehmen. Sie könnten das eher als Jeder andere Zoolog vollbringen, zumal bei den wundervollen palaeontologischen Materialien, die Sie in London haben. Am leichtesten würde ein gründlicher Stammbaum (zum Theil selbst bis auf die Genera und Species herab) gewiss bei den Ungulaten durchzuführen sein. Am meisten Schwierigkeiten aber würden im Ganzen wohl die Chelophoren (Elephas, Hyrax etc.) und das Camel machen! Können Sie nicht aus dem reichhaltigen zoologischen Garten im Regentpark öfter Embryonen bekommen? Leicht müsste es doch sein, einmal Embryonen von Struthio, Dromaeus, Rhea etc. zu bekommen durch künstliche Bebrütung der gelegten Eier? || Sollten diese nicht Aufschluß über die eigentliche Stellung der „Ratitae“ und ihre eventuell nähere Verwandtschaft zu den Reptilien geben? Ich muss gestehen, dass mir immer noch einige Gründe dafür zu sprechen scheinen, dass die Ratitae das Fliegen verlernt haben, und ihre Voreltern zwar nicht echte Carinatae, aber doch wirklich fliegende Vögel waren! Die Embryonen der Strausse geben vielleicht darüber Auskunft. – Meine „natürliche Schöpfungsgeschichte“ werden Sie inzwischen wohl erhalten haben. Das Titelbild ist leider durch Schuld des Lithographen sehr schlecht ausgefallen. – Ich arbeite jetzt wenig, da ich vor Kurzem einen sehr gesunden und kräftigen Jungen bekommen habe und nun zum ersten male Vaterfreuden empfinde, eine ganz neue Welt! Mutter und Kind geht es gut. Der kleine Katarrhine macht mir bereits sehr viel Spass, besonders durch seine Füsschen, mit denen er eben so geschickt und fest wie mit den Händchen greift! –

Mit den freundlichsten Grüssen an Sie und Ihre liebe Frau – Ihr treulich ergebener

Haeckel.

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
20.10.1868
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
Imperial College London
Signatur
Huxley papers, General correspondence, Inv.Id. 17.192. Box No. 17 Series 1h
ID
40331