Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Thoma Henry Huxley, Jena, 27. Januar 1868

Jena 27 Januar 1868

Mein lieber Huxley!

Schon seit mehreren Monaten habe ich jede Woche den Wunsch und die Absicht gehabt, Ihnen zu schreiben. Sie wissen aber selbst, welchen Kampf um das Dasein jeder Brief eines· Naturforschers mit seinen übrigen Arbeiten zu bestehen hat. So giebt mir denn erst Ihr letzter Brief, den ich vorgestern erhielt, Veranlassung, Ihnen endlich wirklich zu schreiben.

Was nun zunächst Ihr freundliches Anerbieten mit den „Philosophical Transactions“ betrifft, so nehmen wir dasselbe mit dem grössten Danke an. Zufällig trifft es sich, dass ich gerade in diesem Jahre Präsident der medicinisch-naturwissenschaftlichen Gesellschaft zu Jena bin. Da ich nicht weiss, ob Sie von unserer Gesellschaft etwas Näheres wissen, so || sende ich Ihnen beifolgend die Statuten derselben und bemerke dazu, dass alle Schriften, welche dieselbe erhält, Eigenthum der Universitäts-Bibliothek werden. Natürlich würde es uns höchst erwünscht sein, wenn wir auch von den früheren Jahrgängen der Philosophical Transactions eine Reihe erhalten könnten, da die Universitäts-Bibliothek, aus Mangel an Mitteln, Nichts davon angekauft hat, und keinen Band davon besitzt. Die Royal Society hat uns im vorletzten Jahr (1866) ihre Proceedings (vol. 13–15) und einen Band der Transactions (vol. 156 p I+II) geschickt, wie ich glaube durch Vermittelung von Hoffmann unda Frankland. Es wäre vielleicht gut, wenn Sie mit diesem darüber sprächen. Natürlich werden wir Ihnen regelmäßig unsere Zeitschrift zusenden, wie dies bereits mit den drei ersten Bänden (1864–67) geschehen ist. Es sind darin unter Anderen || Gegenbaur’s Abhandlungen über Episternum, Knochengewebe, Herz, Wirbelsäule des Lepidosteus etc., sowie meine Arbeiten über Corycaeiden und Geryoniden.

Vielleicht ist das beifolgende officielle Schreiben an das Secretariat der Royal Society genügend, um die Übersendung der Philosophical Transactions an die medicinisch-naturwissenschaftliche Gesellschaft als Universitäts-Angelegenheit zu documentieren. Anderenfalls könnte ich auch eine officielle Beglaubigung entweder vom Senat oder von dem Curatorium der Universität beibringen. In diesem Falle würde ich Sie bitten, mir baldigst Nachricht zu geben, damit ich Ihnen dies Document noch rechtzeitig zuschicken kann. ||

Ihre Abhandlung „On the Classification of birds“ habe ich mit grossem Interesse gelesen und hoffe, dass dieselbe wesentlich zum Verständnis der wahren Verwandtschaft dieser Klasse und ihrer Abtheilungen beitragen wird. Die osteologischen Charaktere der Schädel-Basis sind vortrefflich. Sollten aber dieselben in einigen Fällen nicht vielleicht zu ausschliesslich berücksichtigt sein?

Auch was Sie mir von Ihren Studien über Dinosaurier schreiben, interessirt mich außerordentlich, und ich bin sehr neugierig, wie Sie den Weg von da zu den Vögeln herstellen. Wenn aber die Struthiones an der Wurzel der Vogelclasse stehen, was fangen wir dann mit dem Archaeopteryx an? Ich hätte vielleicht eher geglaubt, in den Struthionen einen eigenthümlichen, nicht weiter entwickelten lateralen Wurzelsprossen der Vögel zu finden. ||

Wenn Sie die Descendenz-Theorie für Theologen vortragen, so sind wir specielle Collegen. Auch ich halte hier in diesem Winter darüber wieder öffentliche Vorlesungen, und habe darin gegen 200 Zuhörer, darunter etwa ¼ Theologen und ¼ Laien. Nach Ihrem Muster lasse ich dieselben stenographieren und werde sie im Laufe des nächsten Sommers veröffentlichen.

Sonst bin ich vorzüglich mit den Siphonophoren beschäftigt, mit denen ich noch lange werde zu thun haben. Die feinere Anatomie, in der es auch viel Neues giebt, ist ebenso schwierig als interessant; ebenso die Entwicklungsgeschichte.

Von Gegenbaur wird im nächsten Sommer die II Edition seiner Grundzüge der vergleichenden Anatomie erscheinen. Sie ist ganz umgearbeitet, entsprechend der Descendenz Theorie, und wird sehr gut werden. Ausserdem arbeitet er wieder über Wirbelsäule. ||

Wann wird denn Ihr Handbuch der Zoologie oder der vergleichenden Anatomie erscheinen, von dem schon 1866 Einiges gedruckt war? Wir sind sehr gespannt darauf.

Dr. Dohrn, der sich jetzt hier habilitiert, einer meiner ersten Schüler, scheint für die Phylogenie der Articulaten und namentlich der Arthropoden sehr viel Neues zu bringen. Jedoch fürchte ich sehr, dass er nicht kritisch genug verfährt und dass seine Speculation zu wenig Rücksicht auf die empirische Basis nimmt. Seine Phantasie überflügelt zu sehr seinen Verstand.

Haben Sie eine Abhandlung „über den Ursprung der Sprache“ von Wilhelm Bleek, meinem Vetter (Cousin) bekommen? Er studiert seit 13 Jahren in Capland die Sprache der Hottentotten und Kaffern, und ist auf diesem Wege aus einem Theologen ein Darwinist geworden!! Er hat seiner Zeit auch für Bischof Colenso geschrieben. ||

Damit Sie nicht vor meiner hohen Würde als „Senator“ der Universität Jena und als „Präsident“ der medicinisch-naturwissenschaftlichen Gesellschaft zu grossen Respect bekommen, lege ich Ihnen eine Photographie bei, welche mich und meinen Assistenten und canarischen Reisegefährten Miklucho als „Medusenfischer“ in unserem Fischercostüm auf Lanzerote darstellt. Miklucho, der seit 3 Jahren bei mir arbeitet, ist ein sehr talentvoller junger Russe aus Kiew. Er hat im letzten Hefte der jenaischen Zeitschrift (1867 II. Bd., p. 448,

Taf. X) einen sehr hübschen Aufsatz „über ein Schwimmblasen-Rudiment bei Selachiern“ geliefert, eine Entdeckung, die mir für die Phylogenie der Wirbelthiere und die Entstehung der Schwimmblase schon in sehr früher Zeit, sehr wichtig scheint. Er ist auch ein sehr eifriger Darwinist. (Ich sende Ihnen beifolgend 2 Exemplare seiner Abhandlung, eine für Sie und eine für Darwin.) ||

Ich lebe jetzt mit meinem jungen Weibe in der ländlichen Stille von Jena sehr glücklich und zufrieden. Im Herbste 1867 machten wir unsere Hochzeit, und darauf eine sehr hübsche Reise nach den Alpen von Ober-Baiern, Tyrol und der Schweiz. Dort wäre ich bei der Besteigung der Tristenspitze in Nord-Tyrol beinahe ums Leben gekommen. Auf einer sehr steilen Felswand (in 8000 Fuß Höhe) hatte ich mich mit meinem Führer so verirrt, dass wir 3 Stunden lang weder rück- noch vorwärts konnten, wie Kaiser Max an der Martinswand. Es war nur wunderbar, dass der „liebe Gott“ diesen schrecklichen Darwino-Monisten noch lebendig herab kommen liess!!

Die einliegenden Briefe darf ich Sie wohl bitten, lieber Huxley, in einen Londoner Briefkasten zu werfen. Den Brief an das Secretariat der Royal Society bitte ich zu lesen, und nur dann abzugeben, wenn Sie es für nöthig und passend halten.

An Ihre hochverehrte Frau Gemahlin von mir und meiner Frau die respectvollsten Grüsse.

Immer Ihr treulichst ergebener Haeckel. –

Gegenbaur grüsst schön.

a eingef.: Hoffmann und

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
27.01.1868
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
Imperial College London
Signatur
Huxley papers, General correspondence, Inv.Id. 17.183. Box No. 17 Series 1h
ID
40328