Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Konrad Deubler, Jena, 26. Dezember 1882

Jena 26. Dec. 82

Lieber Freund Deubler!

Durch Ihre beiden lieben Briefe haben Sie mir eine rechte Freude bereitet, und ebenso durch die beiden schönen Ammoniten – ein Gegenstand, der für mich mehr phylogenetisches Interesse hat als Sie denken! Ich werde, da ich sie als Briefbeschwerer benutze bei ihrem Anblicke oft des lieben Gebers gedenken, und der schönen Tage, die ich bei Ihnen auf dem grünen Priemesberg verlebt habe. Schade, daß sie so rasch verflogen! ||

Daß Ihnen Fritz Schultze’s Philosophie der Naturwissenschaften wenig zugesagt hat, kann ich jetzt wohl begreifen, nachdem ich kürzlich mehrere mir bisher nicht bekannte Abschnitte (namentlich aus dem II. Theil) durchgesehen. Trotzdem finde ich manche Abschnitte die ich früher allein kannte (z. B. die Geschichte der Entwicklungs Idee bei den alten Griechen, und die Naturverachtung des Christenthums), recht gut; außerdem ist auch seine vermitteln wollende Stellung vielen Leuten sehr willkommen und auch nicht ohne Nutzen! Es giebt eben gar zu Viele „Gebildete“, die einen „Schleiermacher“ brauchen, um die Wahrheit nur durch den Schleier zu sehen! ||

Meine Eisenacher Rede, an der Sie von einem solchen „Schleier“ wohl Nichts gefunden haben werden, hat nachträglich noch stark gewirkt. Wie ich Ihnen wohl schon im letzten Briefe schrieb, sind die bigotten Engländer ganz außer sich darüber, und in den großen englischen Zeitungen wurde bald behauptet, daß der Brief gefälscht sei, bald daß Darwin ihn „krank“ geschrieben habe!! Die Familie Darwin’s ist wüthend und will mir einen Proceß wegen „unerlaubten Nachdrucks“!! machen! Dadurch würde sie der Sache nur nützen! Anderseits habe ich viele Briefe erhalten, die mir bezeugen, daß mein offenes Aussprechen der Wahrheit in Eisenach (in Anwesenheit des ganzen Hofes! –) vortrefflich gewirkt hat! ||

Ein paar kostbare Monate habe ich kürzlich mit a vergeblichen Bemühungen verlorenb, das schöne illustrirte Werk über Ceylon zu Stande zu bringen, wegen dessen ich auch im Herbste nach Graz reiste. Kein Verleger (weder in Deutschland noch in England) – ist dafür zu finden trotzdem ich für mich kein Honorar will. Alle scheuen die Kosten der Holzschnitte! Schade um die schönen Bilder!

– Nun habe ich mich ganz auf die Vollendung der großen Arbeit über die Challenger-Radiolarien geworfen. Nach deren Vollendung denke ich an ein populär-philosophisches Werk. Haben Sie Rau über Feuerbach gelesen? – Herzlichste Grüße von mir u. meiner Frau, und beste Wünsche zum neuen Jahr! Ihr alter treuer Freund

E. Haeckel ||

P. S. Die beiden noch zurückbehaltenen Broschüren werde ich nächstens unter Kreuzband zurückschicken. Nochmals freundliche Grüße!

E. H.

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
26.12.1882
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
Österreichische Nationalbibliothek Wien
Signatur
Cod. Ser. n. 55064 HAN MAG
ID
40233