Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Konrad Deubler, Jena, 12. Oktober 1882

Jena 12. Oct. 82

Lieber Freund Deubler!

Wenn ich so oft an Sie geschrieben als gedacht hätte, würden Sie schon ein ganzes Packet Briefe von mir in Händen haben. Allein vom Denken zum Schreiben ist bei mir ein weiter Schritt. Ich war in den letzten unruhigen Monaten ungewöhnlich mit verschiedenen Arbeiten überhäuft und komme erst jetzt wieder etwas zur Ruhe. Oft habe ich aber an Sie und Ihren stillen Priemsberg gedacht und mir oft gewünscht, ich könnte auf ein paar Stunden dort ausruhen und mit Ihnen plaudern. Die drei schönen Tage, die ich im August bei Ihnen zubrachte, sind mir in angenehmster Erinnerung geblieben. || In Schloß Wildhaus bei Graz (oder vielmehr bei Marburg) verlebte ich mit Hrn v. Carneri und mit dem Grazer Maler Königsbrunn ebenfalls mehrere sehr angenehme Tage. Leider war nur das Wetter meistens schlecht. Nach Jena zurückgekehrt hatte ich viel mit dem Auspacken meiner inzwischen eingetroffenen Sammlungen aus Ceylon (52 Kisten!) zu thun, und bin mit dem Ordnen und Bestimmen derselben noch lange nicht fertig. Auch der Neubau meines zoologischen Institutes und die innere Einrichtung desselben macht mir Viel zu schaffen, so daß ich vielerlei und manche ungewöhnliche Arbeit thun muß. ||

Am 18. September hielt ich in Eisenach auf der 55. Naturforscher Versammlung meinen Vortrag, den ich Ihnen inzwischen geschickt habe. Er fand sehr viel Beifall und ich konnte mit dem Erfolge sehr zufrieden sein. Die Berichte darüber in den Zeitungen (namentlich in den Berliner, aber auch in der Neuen freien Presse) sind zum Theil sehr entstellt und parteiisch. Der schwarzen Gesellschaft hat die Rede übel behagt und sie weiß kaum, wie sie ihrem Zorn Luft machen soll. Auf der andern Seite erhalte ich sehr viel zustimmende und zum Theil enthusiastische Zuschriften. Die Temperatur war bedeutend angenehmer und das Licht heller als vor 5 Jahren in München! Das ganze Großherzogliche Haus wohnte der Rede bei. ||

Von Eisenach ging ich noch auf einige Zeit zu meiner guten alten (nunmehr 83jährigen) Mutter nach Potsdam. Dort besuchte mich auch Ihr alter Berliner Freund S., der Ihnen wahrscheinlich inzwischen darüber geschrieben haben wird. Ich freute mich sehr, ihn kennen zu lernen.

Meine Frau läßt Siea herzlich grüßen. Wir sprechen oft von Ihnen und Ihrem idyllischen Bergschloß und wünschen nur, daß wir Sie öfter besuchen könnten!

Die versprochenen Bücher sende ich im Laufe der nächsten Wochen.

Mit herzlichsten Grüßen und wiederholtem besten Danke für Ihre liebe freundschaftliche Aufnahme Ihr alter Freund

E. Haeckel.

P.S. Auch Ihrer lieben Frau und den Wartburgleuten sowie den andern Freunden besten Gruß.

a irrtüml.: sie

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
12.10.1882
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
Österreichische Nationalbibliothek Wien
Signatur
Cod. Ser. n. 55064 HAN MAG
ID
40232