Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Konrad Deubler, Jena, 27. November 1875

Jena 27 Novbr 75

Mein lieber guter Freund Deubler!

Mit der herzlichsten, innigsten Theilnahme fand ich heute, bei der Rückkehr von einer Excursion, Ihren Brief vor, der mir den plötzlichen Tod Ihrer lieben, vortrefflichen Frau meldete. Armer lieber Freund, wie Viel haben Sie verloren! Und wie sehr bedauere ich Sie in Ihrer Einsamkeit, die Ihnen jetzt viele Stunden traurigen Schmerzes, aber auch viele Stunden schöner, wehmüthiger Erinnerung bereiten wird. Ihre innige Freude und Ihr tiefes Verständniß der Natur, Ihre philosophische Weltbetrachtung werden Ihr Trost sein, wie sie es mir auch in gleicher Lage geworden sind. ||

Sie wissen vielleicht nicht, lieber Deubler, daß auch ich schon ein treues Weib verloren habe. Meine vortreffliche Frau, die Sie vor einem Jahre kennen lernten und von der ich drei liebe Kinder habe, ist meine zweite Gattin. Meine erste Frau, ein herrliches, wahrhaft ideales Weib, das allen Eigenthümlichkeiten meines Wesens angepaßt war und mir über Alles werth war, starb am 16. Februar 1864, nachdem wir kaum anderthalb Jahre in glückseligster Ehe zusammengelebt hatten. Sie starb nach ganz kurzer Krankheit an demselben Tage, an welchem ich mein dreißigstes Lebensjahr vollendete! ||

Ich habe diese furchtbarste Katastrophe meines Lebens, die mir mit einem Schlage Alles nahm, niemals überwunden und werde sie auch niemals überwinden. Aber meine innige Liebe zur Natur, mein Bewußtsein, ihrema Verständniß und damit der Veredelung der Menschheit dienen zu können, haben mich damals aus schrecklichster Verzweiflung gerettet, und wo keine Kirchen-Religion mir Trost und Muth gegeben hätte, schöpfte ich ihn aus meiner monistischen Natur-Philosophie. Sie gab mir Kraft, mich dem Leben wieder zuzuwenden und meine Lebensaufgabe mit neuer Zuversicht und rücksichtsloser Entschlossenheit zu verfolgen. || Seitdem hat sich vieles geändert. Mit meiner zweiten Frau, einem lieben guten Weibe, habe ich mir ein neues Haus gegründet und verwerthe mein Leben für die Wissenschaft, so gut ich kann. Darin habe ich jene Heiterkeit des Gemüths wiedergefunden, die mein inniger Verkehr mit der unerschöpflichen Natur immer frisch erhält, und von der Sie selbst Zeuge waren. So bin ich auch bei Ihnen, lieber Deubler, der ja im Wesentlichen ebenso fühlt und denkt, überzeugt, daß Ihre Freude an der Natur, Ihr Interesse an der Menschheit und Ihre gesunde Philosophie, Sie in Ihrem Kummer trösten und zu neuem Lebensmuthe anregen wird. ||

Wie sehr freue ich mich jetzt, lieber Deubler, daß ich Sie noch im vorigen Jahre besucht habe und so Ihre liebe gute Frau habe kennen lernen. In ihrem schlichten, stillen, treuherzigen Wesen hat sie mir ebenso, wie meiner Frau, vorzüglich gefallen, und wir werden ihr die freundlichste Erinnerung bewahren. Meine Frau, die die herzlichste Theilnahme an Ihrem schweren Verluste nimmt, b bittet mich, Ihnen die freundlichsten Grüße zugleich mit dem innigsten Ausdrucke ihresc Beileids auszusprechen. Sie denkt immer noch mit größter Freude an unsern schönen Besuch bei Ihnen zurück. ||

Sollten Sie, lieber Freund, in der Einsamkeit der langen Winter-Abende Mangel an Lectüre haben, so bin ich gern bereit, Ihnen aus meiner Bibliothek solche Bücher und Schriften zu schicken, von denen ich voraussehen kann, daß dieselben Sie interessiren werden. Das „Marschenbuch“ meines Freundes Allmers habe ich Ihnen wohl schon voriges Jahr geschickt? Oder kennen Sie es noch nicht? Auch philosophische und geschichtliche Sachen könnte ich Ihnen senden. Ob ich Sie nächstes Jahr werde besuchen können, ist noch ungewiß. Ich habe gar zu viel Abhaltung immer!

Mit dem herzlichsten Händedruck

Ihr treu ergebener Freund

Ernst Haeckel

a irrtüml.: Ihrem; b gestr.: läßt; c irrtüml.: Ihres

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
27.11.1875
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
Österreichische Nationalbibliothek Wien
Signatur
Cod. Ser. n. 55064 HAN MAG
ID
40219