Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Konrad Deubler, Jena, 24. November 1874

Jena 24 Nov 74

Mein lieber Freund Deubler!

Längst schon würde ich Ihnen geschrieben haben, wenn nicht seit meiner Rückkehr von der Reise eine ganze Sündfluth von Correspondenz mich überschwemmt hätte, so daß ich nicht wußte, wo zuerst anfangen. Nun aber Ihr lieber Brief mir aufs Neue einen so herzlichen Gruß bringt, will ich nicht länger zögern, Ihnen ein Lebenszeichen von uns aus Jena zu geben! ||

Vor Allem nochmals den herzlichsten Dank von uns Beiden für die liebevolle und freundschaftliche Aufnahme, welche Sie uns in Goisern gewährt haben! Die schönen Tage in Ihrem Hause und die allerliebsten Partien nach dem Hallstätter See und in die Gosau gehören zu den schönsten Erinnerungen unserer Reise!

Und wie habe ich mich gefreut, endlich einmal in Ihnen, lieber Freund, einen wahren Menschen zu finden, das seltenste und werthvollste unter allen Wirbelthieren, die auf diesem curiosen Planeten umherlaufen! Wenn Diogenes Sie gefunden hätte, würde er seine Laterne ausgelöscht haben! ||

Unsere weitere Reise verlief recht glücklich. Ich führte meine Frau noch nach Berchtesgaden und der Ramsau. Doch hat ihr Nichts so sehr gefallen, wie die Gosau!

– Inzwischen ist nun von meiner Anthropogenie die II. Auflage in die Welt gewandert, und drei Übersetzungen sind bereits im Gange (Französisch, Englisch und Ungarisch). Die Urtheile sind natürlich höchst ungleich. Die frommen Blätter schreien Zeter und wollen mich in die Hölle jagen. Die Wahrheit suchenden Leute lassen mir alle Gerechtigkeit wiederfahren [!] und scheinen ganz befriedigt zu sein. ||

Meine Vorlesungen sind in diesem Winter so stark besucht, wie noch nie zuvor, so daß ich auch mit dem praktischen Unterricht Viel zu thun habe.

– – Das versprochene Buch von Allmers werde ich Ihnen nächstens schicken, und dabei zugleich die von Ihnen geliehenen Bücher mit zurück senden. Fischer’s „Bewußtsein“ hoffe ich demnächst endlich lesen zu können. Ich komme gar zu schwer zum Lesen! Allen lieben Menschen in Goisern, vor Allem aber Ihnen und Ihrer lieben Frau die herzlichsten Grüße von Ihrem treu ergebenen

Ernst Haeckel

 

Letter metadata

Verfasser
Empfänger
Datierung
24.11.1874
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
Österreichische Nationalbibliothek Wien
Signatur
Cod. Ser. n. 55064 HAN MAG
ID
40216