Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Bartholomäus von Carneri, Jena, 29. Juni 1903

ZOOLOGISCHES INSTITUT

DER UNIVERSITÄT JENA.

Jena

29. Juni 1903.

Mein lieber und hochverehrter Freund!

Überladen mit dringenden Arbeiten komme ich erst heute dazu, diese Zeilen des Dankes an Sie zu richten, die in Gedanken schon vor Monaten abgegangen sind: Zeilen des Dankes für Ihren lieben Brief und für Ihr herrliches Buch: „Sittlichkeit und Darwinismus“, über dessen neue Auflage ich mich aufrichtig gefreut habe. Zugleich habe ich wieder Ihren Character als tapferer Geistesheld bewundert, der Ihnen gestattet, trotz schwerer Leiden den Kampf für das Beste der Menschheit bis zum Ende fortzuführen. ||

Ich stehe auch noch tapfer im litterarischen Kampfgewühl, trotzdem mein Alter (im 70.sten) und mein häusliches Leid (meine arme Frau immer sehr kränklich, seit 25 Jahren! – die jüngere Tochter in einer Nervenanstalt, unheilbar! –) mir das Leben nicht leicht machen. Ich nehme mir aber Ihr Heldenthum zum Muster!

Mit der „Welträthsel“-Volksausgabe (à 1 Mk) ernte ich jetzt den größten litterarischen Erfolg meiner sauren Lebensarbeit; in den letzten 3 Monaten sind 30.000 Exemplare verkauft; die neue Auflage, jetzt erschienen, umfaßt das 48. bis 67. Tausend. || Seit ½ Jahre bin ich vorzugsweise mit der neuen (V.) Auflage der „Anthropogenie“ beschäftigt, die mir viel Arbeit macht; sie wird sehr verbessert und erweitert; sie soll im Herbst erscheinen.

Hoffentlich genießen Sie jetzt die schöne Natur der grünen Steiermark auf Ihrem schönen „Vogelberg“, unter der treuen Pflege Ihrer lieben Kinder, die ich herzlich grüße.

Von ganzem Herzen Ihnen alles Beste wünschend

bleibe ich stets

Ihr treuer alter

Ernst Haeckel.

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
29.06.1903
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
Wiener Stadt- und Landesbibliothek, Slg. Wilhelm Börner
Signatur
H.I.N. 167259
ID
40198