Ernst Haeckel an Bartholomäus von Carneri, Jena, 7. Mai 1901
Jena 7. Mai 1901.
Lieber und hochverehrter Freund!
Aus Ihrem lieben Briefe, für den ich herzlich danke, ersehe ich zu meinem lebhaften Bedauern, daß Ihre leidende Gesundheit und besonders Ihre schwachen Augen Ihnen den Lebens-Abend recht schwer und traurig machen. Es ist eine der bittersten Wahrheiten, die auch ich jetzt recht empfinde, daß in den höheren Jahren die Schattenseiten unseres Daseins sich immer mehr bemerkbar machen, während es eigentlich umgekehrt sein sollte. Nun, Sie haben der Welt in Ihrer trefflichen Ethik, und in dem herrlichen „Modernen Menschen“ (– über dessen V. Auflage ich mich besonders gefreut habe! –) || so Viel gegeben, daß Sie voll befriedigt der ewigen Ruhe entgegen sehen können. An dem Leide, welches Sie und Ihre lieben Kinder durch das Ableben der Mutter Ihres lieben Schwiegersohnes zu tragen haben, nehme ich herzlichen Antheil und bitte denselben auch ersteren auszusprechen.
– Ich fand hier bei der Rückkehr aus Insulinde die Meinigen in leidlichem Wohlsein vor, und habe jetzt alle Hände voll zu thun mit Beantwortung von mehr als 300 angesammelten Briefen, Auspacken von 32 Kisten Sammlungen etc. Ich drücke Ihnen daher heute nur noch in Gedanken die liebe Freundeshand und versichere Sie, daß Ihre theure Freundschaft stets zu meinen höchsten idealen Gütern gehören wird! Mit besten Wünschen
Ihr treuer alter
Ernst Haeckel.