Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Bartholomäus von Carneri, Jena, 2. April 1898

Jena 2.4.1898.

Lieber u. hochverehrter Freund!

Viel u. oft habe ich während des langen Winters an Sie gedacht, u. bitte Sie, wenn auch nur kurz durch Postkarte, mira zu sagen, wie es Ihnen geht? Ich hatte einen traurigen und sorgenvollen Winter. Nach den plötzlichen Todesfällen (meines Bruders, Schwagers u. Neffen), die ich Ihnen im November meldete, erkrankten meine Frau u. Tochter schwer, mit bedenklichen Herz- u. Nerven-Symptomen. Erst nach einer langwierigen 3monatlichen Behandlung geht es jetzt endlich besser; beide gehen wieder aus. ||

Ich selbst habe den Winter ganz einsam am Arbeitstische zugebracht, größtentheils mit philosophischen Studien beschäftigt. Die Frucht derselben hoffe ich Ihnen noch im Herbst schicken zu können (spätestens Frühjahr 99), ein Buch, in welchem die Ergebnisse der modernen Naturforschung für die monistische Philosophie zusammengefaßt sind. In dem psychologischen u. ethischen Theile besonders werden auch Ihre hohen Verdienste dankbarst gewürdigt. Ich hoffe, daß Ihnen das Buch Freude machen wird. Das Chaos der psychologischen Litteratur ist übrigens fürchterlich! ||

Im December 97 erschien (kurz vor Weihnachten) die IX. Auflage der Natürlichen Schöpfungsgeschichte. Ich habe sie Ihnen nicht geschickt, weil ich glaubte, daß der umgearbeitete (II., specielle) Theil Sie nicht interessiren würde; falls Sie jedoch ein Exemplar wünschen, steht es Ihnen natürlich zu Diensten. Auch von dem „Monismus“ kommt jetzt eine neue (unveränderte) VII. Auflage.

– Das treffliche Buch von Albrecht Rau: „Empfinden und Denken“ (1896) kennen Sie wohl? Sonst kann ich es Ihnen senden. Sehr amüsirt hat mich „Saladin, Jehova’s sämmtliche Werke“. ||

Hoffentlich geht es Ihnen und Ihren lieben Kindern gut (– d. h. soweit es noch in Ihrem lieben Österreich einem braven Menschen gut gehen kann! –)

Mit herzlichsten Grüßen

Ihr treuer alter

Ernst Haeckel.

a eingef.: mir

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
02.04.1898
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
Wiener Stadt- und Landesbibliothek, Slg. Wilhelm Börner
Signatur
H.I.N. 167252
ID
40193