Ernst Haeckel an Bartholomäus von Carneri, Jena, 5. November 1890
Jena 5. Novbr 1890
Lieber u. hochverehrter Freund!
Ihre beiden Briefe vom 1. u. 2. September, mit den Herzens-Ergüssen gegen Hermann Wolff, erhielt ich nach 2monatlicher Abwesenheit erst vor 14 Tagen hier. Ich muß Ihnen gestehen, daß mich die Inconsequenzen und Widersprüche des ganz „halben“ (– rechts dualistisch, links monistisch denkenden) Wolff sehr kalt gelassen haben. Ich bin an solche Leistungen unsrer „Naturphilosophen“ zu sehr gewöhnt; zuletzt ist es Ihnen doch immer nur um die Unsterblichkeit ihrer theuren Person zu thun! || Geradezu komisch aber ist es mir, daß unser armer Darwin gleichzeitig von drei Wölfen angefallen und aufgefressen wird: Hermann, Eugen und Gustav Wolff – alle drei f.f – (fortissimo!) und Kinder Israels mit allen Character-Eigenschaften dieser liebenswürdigen Rasse! Der biedere Hermann Wolff (aus Leipzig) suchte mich im Sommer hier auf, und floß über von Liebe, Verehrung etc; er versicherte mir, meine „Generelle Morphologie“ sei sein „Evangelium“; und als ich ihm auf den Zahn fühlte, wußte er wirklich auffallend Bescheid in diesem langstieligen Werke. Ich war davon „tief gerührt“, da dasselbe selten gelesen und jetzt fast vergessen ist! ||
– In der Schweiz hatten wir einen herrlichen September und meine arme Frau hat sich dort (in Beatenberg u. Interlaken) leidlich erholt. Im October ging ich allein nach den Niederlanden, wo ich 14 prachtvolle Tage genoß; voll edler Kunstgenüsse, verzogen und verhätschelt von lieben alten und neuen Freunden. Am 15. October (über den Sie Einiges in beifolgendem Artikel der Kölnischen Zeitung (Nr. 302, vom 31. October) finden) empfing ich die goldene Swammerdam-Medaille u. wurde mit Ehren förmlich überschüttet. Ich hielt an diesem Glanztage 4 Reden: früh Colleg für die Amsterdamer Studenten, Nachmittags meine Fest (resp. Dank) Rede, Abends 2 Tischreden; Alles in bester Stimmung u. mit Jubel begrüßt! ||
Auf der Rückreise in Bonn besuchte ich auch Ihren Verleger, E. Strauss, und hörte zu meiner Freude, daß Ihr Buch bald erscheinen wird; ich bin darauf sehr begierig! – Auf der Hinreise (Ende September) war ich 4 Tage in Baden-Baden, wo der Römische Bildhauer, Prof. Kopf, – auf seinen Wunsch – ein Relief Medaillon von mir modellirte; beifolgend sende ich Ihnen ein Photogramm davon! –
Den Winter werde ich tüchtig zu arbeiten haben, mit der 4. Auflage meiner „Anthropogenie“.
Nächsten Sommer aber hoffe ich sicher, Sie einmal wiederzusehen!
Mit herzlichsten Grüßen
Ihr treu ergebener
Ernst Haeckel