Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Bartholomäus von Carneri, Jena, 30. Dezember 1888

Jena 30. Decbr 1888.

Hochverehrter lieber Freund!

Mit dem herzlichsten Danke für die freundliche Zusendung Ihrer interessanten, mir immer hochwillkommenen Geistes-Erzeugnisse, durch welche Sie mich in diesem Jahre erfreut haben, verbinde ich die aufrichtigsten Glückwünsche für das kommende Jahr, sowohl für Sie selbst, als für Ihre liebe Tochter und deren Gemahl. Hoffentlich geht es Ihnen Allen recht gut, und gehen Sie dem neuen Jahre in befriedigender Gesundheit und mit gutem Muthe entgegen. ||

Ich schließe dieses Jahr mit der Beendigung meiner 12jährigen Challenger-Studien ab, in denen ein gutes Theil meiner besten Arbeitskraft steckt. Der letzte Theil (Siphonophoren, mit 50 Tafeln) ist so eben erschienen. Nun hoffe ich endlich wieder mich allgemeineren Aufgaben zuwenden zu können; zunächst einer neuen Auflage der schon lange vergriffenen „Natürlichen Schöpfungsgeschichte“. Ich weiß freilich kaum, ob es der Mühe werth ist, diesen alten und abgetriebenen Gaul noch einmal aufzustutzen! Wie Viel hat sich in den 10 Jahren seit Erscheinen der letzten Auflage verändert! – ||

Meiner Familie geht es im Ganzen gut; nur meine arme Frau ist viel kränklich. Mein Sohn (jetzt 20 Jahre alt) ist Ostern von der Prima abgegangen und wird Landschafts-Maler; hoffentlich mit mehr Talent als sein dilettirender Vater! Die Lehrer in Weimar (auf der Kunstschule) sind mit ihm zufrieden. – Meine beiden Töchter (17 u. 15 Jahre) wachsen nun auch heran, und mit ihnen die Sorgen. Wir verlebten im August u. September 6 schöne Wochen in Tyrol (Jenbach und Garda-See). Wenn ich an Franzensfeste vorbei fahre, bekomme ich immer Lust, einen östlichen Abstecher nach Marburg zu machen! ||

Es wäre schön, wenn Sie 1889 uns einmal in Jena besuchten, und sich das liebe Thüringer Land ansehen wollten! Mit Ihrer schönen Steiermark kann sich’s freilich nicht messen!

– Es wird Sie freuen zu erfahren, daß in diesem Jahre mehrere (3 oder 4) ferne Correspondenten (darunter ein Deutscher in Brasilien und ein anderer in Ceylon) sich mit besonders warmem Danke über den Genuß Ihrer philosophischen Werke gegen mich ausgesprochen haben. Ihr Monismus treibt also Wurzeln „in beiden Hemisphären“!

Vivat, Floreat, Crescat!!

Mit herzlichstem Händedruck

Ihr treuer alter

Ernst Haeckel.

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
30.12.1888
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
Wiener Stadt- und Landesbibliothek, Slg. Wilhelm Börner
Signatur
H.I.N. 167214
ID
40153