Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Bartholomäus von Carneri, Smyrna, 20. April 1887

Smyrna 20. April 1887.

Lieber und hochverehrter Freund!

Seitdem ich Ihnen von Beirut ein erstes orientalisches Lebenszeichen sendete, und von meiner Pilgerfahrt in’s „Heilige Land“ berichtete, habe ich drei interessante Wochen in Rhodos verlebt, ganz einsam in einer kleinen griechischen Locanda, nur mit der herrlichen Natur im schönsten Frühlingskleide beschäftigt; Vormittags mit Seethieren und Mikroskop, Nachmittags mit Flora und Landschafts-Aquarellen. a Der dortige österreichische Consul, Casilli (aus Triest) ein sehr gefälliger Mann, war die einzige europäische Seele, mit der ich in einigem Verkehr stand. || Besonders ergiebig war eine 4tägige Gebirgsreise durch das Innere der Insel, wobei ich deren höchsten Berg bestieg, (Attairo, 4000 Fuß). Am 14. verließ ich Rhodos und verlebe nun die letzte Woche meiner Orient-Reise hier in Smyrna, wo ich bei lieben alten Freunden die herzlichste Aufnahme gefunden habe (besonders beim österreichischen Consul Remy, und beim Entdecker der Pergamenischen Alterthümer, Humann). Der Frühling ist hier jetzt herrlich, und ich erquicke mich, nachdem die zoologischen Arbeiten in Rhodos beendigt sind, an den reizenden Landschafts-Bildern, an welchen die Umgebung von Smyrna so reich ist.

Mein Skizzenbuch hat hier reiche Ernte. || Nächsten Samstag, den 23.b April werde ich mit dem Lloyd-Dampfer von hier abreisen, und direct über Piraeus nach Triest reisen, wo ich Donnerstag 28. eintreffe. Am 29. (entweder Morgens oder Abends) reise ich von Triest direct nach Wien, wo ich den letzten April (Samstag) zubringen und Einiges besorgen werde. Jedenfalls werde ich im Laufe des Vormittags im Hôtel Meissl den Versuch machen, Sie zu treffen. Es wäre sehr schön, wenn ich einige Stunden mit Ihnen verplaudern könnte. Sollten Sie nicht in Wien sein, so werde ich Ihrer lieben Frau Tochter und Ihrem Schwiegersohn meinen Besuch machen. ||

Für den lieben Brief, durch den Sie mich in Beirut erfreuten, sage ich Ihnen nachträglich noch meinen herzlichsten Dank.

– Sollten Sie mir nach Triest noch etwas melden wollen, so trifft mich ein Brief am 28. bei Herrn Heinrich Krauseneck (sen.). Villa Krauseneck

Hoffentlich also auf frohes Wiedersehen in Wien am 30. Abends 9 Uhr muß ich nach Dresden fahren, um noch rechtzeitig am 1. Mai in Jena einzutreffen. Am 2. Mai beginnen die Vorlesungen!

Mit herzlichsten Grüßen an Sie und die lieben Ihrigen

Ihr treu ergebener

E. Haeckel

a gestr.: beschäftigt; b gestr.: 24., eingef.: 23.

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
20.04.1887
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
Wiener Stadt- und Landesbibliothek, Slg. Wilhelm Börner
Signatur
H.I.N. 167213
ID
40152