Haeckel, Ernst

Ernst Haeckel an Bartholomäus von Carneri, Jena, 20. Dezember 1882

Jena 20 Dec. 82

Lieber bester Freund!

Sie haben mir durch das unverdiente Ehren-Denkmal am Schlusse Ihres vortrefflichen Condillac-Artikels etwas die Schamesröthe in’s Gesicht getrieben; – „so gut bist du doch lange nicht, und am wenigsten „göttlich“!“ – so sagte meine theure Ehehälfte, und die muß es doch am besten wissen! Nun, ich nehme aus Ihren über-freundlichen Zeilen auf’s Neue die frohe Sicherheit, in Ihnen einen lieben wahren Freund gefunden zu haben, wie’s leider wenig giebt! ||

Ich hoffe, daß Sie das Weihnachtsfest mit Ihrer lieben Tochter recht vergnügt verleben, und ohne die Sorge, Ihr schönes Wildhaus aufgeben zu müssen; ich denke noch oft an Ihren reizenden Kaffeplatz in der Veranda und den herrlichen Wald bei Ihrer alten Burgruine zurück, um so mehr, als unser abscheulicher norddeutscher Winter diesmal ganz besonders häßlich ist; ich friere unaufhörlich und sehne mich nach Süden! || Vor einigen Tagen habe ich den schweren Entschluß gefaßt, das beabsichtigte illustrirte Werk über Ceylon definitiv aufzugeben, nachdem auch die Verhandlungen mit den ersten englischen Verlegern ebenso resultatlos verlaufen sind wie mit den deutschen. Obgleich ich für mich auf jedes Honorar verzichtete, wollte doch Keiner die Kosten der Illustration wagen! Ich tröste mich damit, daß ich meine Zeit und Kraft besser wichtigeren Sachen widmen kann, zunächst der mikroskopischen Welt der zierlichen Radiolarien die mich noch ein paar Jahre in Anspruch nehmen werden! ||

Die Rede von Du Bois über „Goethe und kein Ende“ characterisirt diesen trivialen Kanzelredner vortrefflich; sie hat selbst große Verehrer desselben aufgeklärt; eine Antwort ist überflüssig!

Indem ich Ihnen und Ihren lieben Damen ein recht vergnügtes Weihnachtsfest und glückliches Neues Jahr wünsche, bleibe ich stets Ihr treu ergebener

Ernst Haeckel

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
20.12.1882
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
Wiener Stadt- und Landesbibliothek, Slg. Wilhelm Börner
Signatur
H.I.N. 167204
ID
40123