Haeckel, Ernst

|Ernst Haeckel an Helene Freifrau von Heldburg, Jena, 28. Februar 1918

An Frau Helene von Heldburg (Meiningen)

Jena 28. Februar 1918.

Hochverehrte Gnädige Frau!

Hochgeschätzte Künstlerin und treue Freundin!

Durch Ihren lieben telegraphischen Glückwunsch zu meinem 84. Geburtstage haben Sie mich am 16. Februar hocherfreut und lebhaft an die schönen unvergesslichen Tage erinnert, an denen ich die Ehre hatte mit Ihnen und Ihrem Herrn Gemahl in Meiningen, Heldburg, Altenstein und Liebenstein zusammen zu sein. Die lebendig Erinnerung an solche hohe Stunden, in denen der gemeinsame und verständnisvolle Genuss von Natur und Kunst – den edelsten Erdengütern – in harmonischem Gedanken-Austausch uns über die Unvollkommenheiten des täglichen gemeinen Lebens hinweghebt, gehört sicher zu den höchsten und bleibendsten Werten des irdischen Daseins. ||

Wenn ich Ihnen heute nur mit wenigen Worten meinen herzlichsten Dank für Ihren treuen Freundschaft-Beweis ausdrücken kann, bitte ich dies durch meinen leidenden Gesundheitszustand zu entschuldigen, und durch den Umstand, dass ich vor einem Berg von mehr als 300 Glückwunsch-Schreiben, Telegrammen u. s. w. sitze, die alle beantwortet sein wollen!

Mit herzlichsten Grüssen und mit besten Wünschen für Ihr Wohlergehen

Ihr treu ergebener

Ernst Haeckel. ||

[gedrucktes Rundschreiben:]

Dank und Abschied.

Aus Anlaß meines 84. Geburtstages bin ich am 16. Februar d. J. durch eine große Zahl von freundlichen Glückwünschen und gütigen Geschenken erfreut worden. Leser meiner Schriften aus den verschiedensten Berufskreisen, namentlich aber alte treue Freunde und dankbare frühere Schüler, haben mir ihre andauernde Teilnahme an meiner wissenschaftlichen Lebensaufgabe, der Erkenntnis und Lehre der natürlichen Wahrheit, ausgedrückt. Besonders erfreut hat mich in diesen sympathischen Kundgebungen die zunehmende Anerkennung meiner monistischen Entwickelunsglehre, namentlich der Anthropogenie, und die wachsende Überzeugung, daß nur auf diesem sicheren empirischen Grunde der Weg zur Lösung der Welträtsel und zum Verständnis der Lebenswunder zu finden ist.

Da ich leider außerstande bin, allen einzelnen Freunden und Anhängern meinen aufrichtigen Dank persönlich auszusprechen, bitte ich Sie, dessen schlichten Ausdruck in diesen wenigen Zeilen freundlich entgegen zu nehmen. Damit verbinde ich zugleich einige kurze Worte des Abschieds. Wie ich bereits am 17. Juli 1917 auf einer gedruckten Postkarte vielen Korrespondenten mitteilte, hatte mein Gesundheitszustand und meine Arbeitskraft seit || mehreren Monaten bedenklich abgenommen. Seitdem haben sich alte Zirkulations-Störungen, bedingt durch zunehmende Herzschwäche, bedeutend verschlimmert. Es ist sehr wahrscheinlich, daß ich noch vor Eintritt des nächsten Winters zur ewigen Ruhe eingehen werde. Daher ergreife ich diese Gelegenheit, um meinen lieben alten Freunden und weiteren Bekannten ein herzliches Wort des Abschieds zuzurufen. Ich scheide von Ihnen mit wiederholtem besten Dank und mit der Versicherung, daß ich in Ihrer fortwirkenden lebendigen Teilnahme an meinen naturphilosophischen Studien den wertvollsten Lohn für meine ernsten sechzigjährigen Bemühungen erblicke. Wie ich vor 25 Jahren in meiner Altenburger Rede (1892) den „Monismus als Band zwischen Religion und Wissenschaft“ bezeichnete, und wie ich 1914 beim Eintritt in mein neuntes Dezennium die „Gott-Natur“ im Sinne unseres größten Dichters und Denkers als höchstes Ideal vernunftgemäßer Weltanschauung hinstellte, so hoffe ich jetzt am Schlusse meiner Lebensarbeit, daß nach baldigem Abschluß des wahnsinnigen kulturzerstörenden Weltkrieges der heißersehnte „Deutsche Friede“ den Neubau der zerrütteten Kultur auf dem festen Grunde des naturalistischen Monismus segensreich errichten wird.

Jena, 18. Februar 1918.

Ernst Haeckel.

 

Letter metadata

Verfasser
Datierung
28.02.1918
Entstehungsort
Entstehungsland
Besitzende Institution
Thür. Staatsarchiv Meiningen
Signatur
Hausarchiv, NL Helene von Heldburg, Nr. 422/ III
ID
40053