Ernst Haeckel an Helene Freifrau von Heldburg, Jena, 24. Juni 1917
Jena 24. Juni 1917.
Hochverehrte Gnädige Frau!
Durch Ihr freundliches Gedenken haben Sie mich sehr erfreut; die schönen Alpenrosen vom Fusse des Watzmann (– des ersten Alpenriesen, den ich erkletterte, 1855 als Würzburger Student –) stehen noch heute frisch blühend auf meinem Schreibtisch, Herzlichen Dank! Gern würde ich Ihnen denselben mündlich abgestattet und Sie am idyllischen Obersee noch einmal besucht haben. Aber für mich ist seit 6 Jahren das Reisen leider ganz vorbei. Seit Anfang April, wo ich Ihnen (zum 2.4.) einen Gruß senden wollte, nehmen meine Kräfte sichtlich ab; das Herz will nicht mehr ordentlich arbeiten und die Zirkulation wird immer schwächer. Übrigens ist mir der Gedanke, bald aus dem entsetzlichen Chaos des Weltkriegs erlöst zu werden, nur tröstlich! ||
Gut, daß Ihr unvergeßlicher, von mir so hochverehrter Gemahl die beispiellosen Gräuel dieser Kultur-Tragoedie, in der die wahnsinnigen Völker sich gegenseitig zerfleischen, nicht hat durchmachen müssen! Auch die schweren Verluste in seiner eigenen Familie würden ihm schweres Leid bereitet haben! Wie? Wo? Wann? soll der ersehnte „Deutsche Friede“ (– von unserer hohen „Diplomatie“?? –) geschlossen werden?
Morgen und übermorgen findet hier ein großes „Reger Fest“ (3 Konzerte mit Kammermusik u. s. w.) statt, welches Frau Max Reger veranstaltet hat. –
Frau Eggeling ist seit dem Herbst bei Kolbmanns in Blankenburg am Harz. –
Mit herzlichen Grüssen und besten Wünschen für Ihr Wohlergehen
Ihr dankbar ergebener
Ernst Haeckel.